Die Leiden der jungen Lyrikerin

Ich war kürzlich beim Schwäbischen Kunstsommer im Oberallgäu und habe dort eine Woche lang die Meisterklasse Lyrik besucht.

Kloster Irsee

Ein einschneidendes Erlebnis in meinem jungen Lyikerinnen-Leben! Ich schreibe erst seit drei Jahren Gedichte (in geringer Anzahl), bin also noch Infantin bei ihren ersten Gehversuchen. Was ich in meiner Lyrikwoche leidvoll erkannt habe: Meine Dichterei taugt nichts! Hier ein Rückblick zur “Trauma”-Verarbeitung. Es fing alles ganz beschaulich an:

Am Sonntagmorgen weckt mich die Sonne in meinem Sommerhaus der Klosteranlage, ich flaniere nach einen üppigen Frühstück durch den Park zu meinem Kursraum – der für die nächsten 7 Tage meine kreative Dichterheimat werden soll – täglich von 9-12 Uhr und von 15 bis 18 Uhr – finde mich an einem prächtigen Mahagoni-Tisch unter Stuckdecke und umgeben von historischen Gemälden zusammen mit 10 anderen Lyrik-Schülern wieder – acht Frauen und zwei Männern, drei davon aus der schönen Schweiz.

Die Meisterin gehört zum Leipziger Lyrik-Zirkel (mit einigen Veröffentlichungen), ist eine Balletttänzerin und Performance-Künstlerin. Am Sonntagabend stellt sie im Künstlergespräch einige ihrer Gedichte vor. Übrigens finden diese Künstlergespräche jeden Mittag und Abend statt – hier stellen sich die Meister der jeweiligen Disziplinen (Chor, Tanz, Malerei, Photographie, Prosa u.a.) im Interview und mit Kostproben aus ihrem Werk vor – also pralles Programm für mich als Kunstsommerteilnehmerin.

Zurück zu meiner Klasse: Die Meisterin fordert jeden auf, sich mit einem eigenen und einem fremden, zeitgenössischen Gedicht vorzustellen. Da ich überhaupt keine Gegenwartslyrik kenne (ein fataler Fehler!), stelle ich einen Liedtext von Bodo Wartke vor und dann mein “Treppengetrappel” aus meinem Treppenzyklus. Die schonungslose Reaktion aus dem Plenum hierauf lautet: “Das ist antiquiert! Du klingst wie aus dem 19. Jahrhundert!”. Wohlan, so sei’s – dies zu schlucken gilt’s…

In der Gruppe bildet sich schnell eine spezielle Feedbackkultur heraus, dominiert von einigen Lyrik-Veteraninnen (die schon zum wiederholten Male in der Meisterklasse waren, allerdings mit anderen Meisterinnen, z.B. Nora Gomringer im Jahr 2012), die ganz anders ist, als ich es von der Uni kenne. Knallharte Kritik, teilweise nicht nur am Text, sondern auch an der Person. Ich vermisse hier die Wertschätzung.

Jeden Tag müssen wir ein neues Gedicht produzieren (mit Themenvorgabe, z.B. Natur/Landschaft, Alter/Armut, Beschwerde mit Reimen u.a.). Morgens bekomme ich den Auftrag, am Nachmittag und Abend kratzt meine Schreibfeder übers Papier, am nächsten Morgen eile ich vor Beginn der Klasse zum Kopierer, damit jeder ein Mitleseexemplar hat.

Dann heißt es Vorlesen (das kann ich auch viel schlechter, als die anderen, einige klingen wie CD-Profis – beeindruckend; die Schweizer Herren retten sich in Mundart). Dann beginnt die Rupf-Runde. Ich lasse immer viele Federn. Wenigstens werde ich nach meinem tiefen Einstieg zukünftig stets mit den Worten gelobt: “Das ist immerhin besser, als dein Treppengedicht vom Sonntag.”

Jeder kommt dran. Ich notiere fleißig alle stilistischen Tiefpunkte und Tabus (auch bei den Gedichten der anderen) – das ist schon sehr lehrreich. Wie in der Ballettprobe gilt: Nur durch Training und Schmerz kann man besser werden. Erst nach 15 Jahren hartem täglichen Lyriktraining (durch Lesen und Schreiben) darf man sich evtl. Meisterin nennen – so vermittelt es uns die Ballerina.

Übrigens geht es in der Schwestern-Disziplin Prosa bei (Krimi-) Meister Heinrich Steinfest ganz anders zu – ich habe guten Kontakt zu einigen der Schülerinnen. Der Meister ist Mentor und Motivator, sehr zugewandt, sitzt mit seiner Gruppe beim Essen am selben Tisch, macht mit ihnen morgens Tai-Chi und abends Woddy-Allen-Filmrunde (zu der ich netterweise auch eingeladen bin).

Prosa Meister Heinrich Steinfest stellt seine Klasse am imaginierten Lese-Teich vor.

Die Prosa-Meisterschüler sind inspiriert, im Schreibfluss, alle Knoten lösen sich. Bei mir verknoten sich die Wörter jeden Tag mehr und mir vergeht die Lust an Lyrik.

Mein Treppengedicht zerschneide ich in Stücke und setze aus einigen Fragmenten eine Neufassung zusammen (bespreche sie mit der Meisterin in einer kurzen Einzelsitzung, sie ringt sich dazu durch, dass mir zumindest eine große Veränderung gelungen sei) :

Am Samstag schließlich der krönende Abschluss: Die Kunstsommernacht.

Die Ruhe vorm Besucher-Sturm: Links der Lyrik-Baum, rechts der Prosa-Teich.
Eröffnung der Kunstsommernacht im Treppenhaus um 17 Uhr

Wir dekorieren einen Baum mit eigenen Gedichten – diese Früchte unserer Arbeit dürfen von den Besuchern geerntet werden – das Ergebnis ist echt schön.  Die Idee hierfür stammt von einer Lyrik-Schülerin.

Da die Gruppendynamik im Laufe der Woche Cliquenbildung und Feindschaften hervorgebracht hat, reist eine Teilnehmerin am Vorabend demonstrativ ab. Sonst sind alle ganz heiß darauf, ihre Gedichte vor Publikum vorzutragen – alle außer mir.

Lyrik-Meisterin stellt ihre Klasse vor.
Zwei meiner Mitschülerinnen tragen “Der Zipferlake” (orig. “Jabberwocky” – ein Nonsense-Gedicht von Lewis Carroll) vor.

Ich bleibe Zuschauerin (hänge aber immerhin einige meiner Gedicht in den Baum) und genieße die vielseitigen Ausstellungen und Darbietungen der Kunstsommernacht. So geht eine intensive Woche zu ende.

Motto für die Lesung: “Wir lieben die Dichter”

Sobald ich wieder zuhause bin, bestelle ich mir ein Buch, um mal meine großen Lyrik-Lücken (die Alliteration ist immer noch meine beste Freundin) anzugehen – habe aber wenig Elan, selbst etwas zu schreiben. Meine Unbeschwertheit ist mir abhanden gekommen.

Nun versuche ich trotz allem, meine Eindrücke und Lyrik-Lehren in einem Gedicht auszudrücken:

Lyrikleiden

Oh Natur voller Anmut und Schönheit

warum hast du mir kein Lyrik-Gen geschenkt

Trugschluss wer denkt es hängt am Talent

nur Übung macht den Meister

 

Fehler finden Regeln achten

Stabreime stiften Schande

vorzugsweise blanke Verse

ohne Panther ohne Pathos

 

Reimen kann ich kreuzweise

und auch in Umarmung

Reime sind nicht mehr en vogue

postmodern lautet die Parole

 

Schiller Goethe Rilke imitiert

das ist ganz und gar antiquiert

hilft keine Bürgschaft alter Meister

Ballerina lässt taktlos tanzen

 

Zunge spitzen und Vokale beugen

strecken beugen strecken beugen

Wiederholungen sind willkommen

tauche Federkiel in Wörterwellengang

 

Sinnessegel aufgetakelt flattert

im allmächtigen Alliterationssturm

Kritik braust donnernd im Orkan

bis die Segelfetzen in lauer Flaute hängen

 

Pleonasmus Plage quält das Papier

Oxymoron schreit stumm

Wer belohnt nun meinen Fleiß?

oder ist das alles Hühner***?

 

Abgedroschen leere Hülsen sind tabu

Unendlichkeit weitet meine Zukunft

Herzschmerz steht unter Kitschverdacht

ihm wird der Garaus gemacht

 

Wörtertanz auf Zehen im Tutu

rundherum das ist nicht schwer

Reime sind für Kinderlieder

dem modernen Poeten zuwider

 

Wer bist du ideale Dichtung

suche reine Lyrik Lichtung

sollst Räume öffnen Türen eintreten

überraschen überrumpeln überwältigen

 

Konsenznicken ist zum Wegknicken

bloß kein Betroffenheitsgestammel

werfe marode Metaphern über Bord

Lyrik Funke zündet neuen Ort

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21 Antworten auf „Die Leiden der jungen Lyrikerin“

  1. Liebe Ulrike,

    Tut mir leid, dass du so eine blöde Erfahrung gemacht hast! Ich hoffe trotzdem, dass du etwas lernen konntest und bald wieder Spaß am dichten hast. Ich mag deine Lyrik trotzdem!

  2. Liebe Ulrike,
    wie schade und schmerzhaft, ich leide mit und bewundere Zweierlei: dass du dir weder die Lyrik hast austreiben lassen noch deinen Humor! Und überhaupt deinen Mut, dich in einem elitären Kreis schreibend zu zeigen – ich könnte das wohl nicht. Wieso ist die Szene bzw. ein Teil davon so despektierlich?
    Natürlich war das Setting bei mir letztes Jahr in Kalbe ein ganz anderes, trotzdem rufen deine Erfahrungen meine Fragen von damals wach: Was ist Kunst? Wer definiert sie? Verstehe ich mein Schreiben als Kunst? Möchte ich Kunst hervorbringen? Antworten habe ich keine gefunden, bis auf eine: Es hat mich glücklich gemacht, dass meine Lesung eine Fabrikarbeiterin und eine Altenpflegerin berührten, da war mir das Urteil der autistischen Künstler schnurz. Schon oft haben mich deine Texte tief bewegt, dafür danke ich dir!
    Bitte, bitte, lass dir niemals das Schreiben und die Freude dran verleiden. LG Amy

    1. Vielen Dank für deine einfühlsamen und aufbauenden Worte, liebe Amy! 🙂 Ja, ich habe mich auch gefragt, wo dieser Drang zur Abwertung der Gedichte (vor allem durch die Meisterin selbst) kam – ich vermute, es liegt an einem Minderwertigkeitskomplex der Lyriker (die im Gegensatz zur Prosa nur eine kleine Öffentlichkeit erreichen, ein Lyrikband mit 1000 verkauften Expemplaren ist schon ein Bestseller), die sich in ihrem geschlossenen Kreis die Hochwertigkeit ihrer Dichtkunst selbst bestätigen müssen, indem sie Hobbydichterei abwerten. Bestimmt sind nicht alle Lyriker so – aber bei der Ballerina hatte ich diesen Eindruck. Kritik am Text ist immer hilfreich für mich als Schreibende, aber es kommt auf den Ton und die Zielrichtung der Kritik an, ob sie mich motiviert oder deprimiert. Zum Glück habe ich immer noch genug Freude am Schreiben (auch an Gedichten). Es ist mir auch eine Freude, wenn andere Menschen meine Texte lesen (weil Schreiben auch Kommunikation für mich bedeutet) und es macht mich glücklich, wenn ich auch nur einen Menschen damit berühren kann. 🙂

  3. Dir ist eine sehr lebendige und humorvolle (trotz schmerzlicher Momente im Tanz der Verse) Erlebnisbeschreibung gelungen! Eine produktive und wertschätzende Feedbackkultur muss mit Fingerspitzengefühl etabliert und gepflegt werden. Das kann nicht jeder. Für deine Weiterentwicklung im Dichten zieh dir das Beste aus dem Gelernten heraus … und vergiss die hemmenden/einschüchternden Anmerkungen ganz schnell wieder. Der Spaß und die Unbeschwertheit kehren hoffentlich bald zu dir zurück! Zum Glück kannst du dir für den kreativen Lyrik-Fluss die Inspirationsquellen da herholen, wo du willst.

    1. Vielen Dank für deine lieben Worte, Dorit! 🙂 Es stimmt, dass eine gute Feedbackkultur angeleitet und eingeübt werden muss. Hi hi – “Schwanensee” bringt meinen Dichtungsfluss sicher ins Tümpeln.

  4. Liebe Ulrike

    Ui, ich litt mit Dir, Du schilderst eindringlich und schonungslos Deinen Schrecken und Deine Schmach. Der offensichtlich berechtigte Seitenhieb auf die didaktischen Schwäche der Leiterin zeigt, dass der BKS ein sinnvoller Studiengang ist. Künstler*innen können oft nur schlecht vermitteln.
    Bei uns geht es eben nicht darum, Meistergedichte zu schreiben, sondern überhaupt zu schreiben, der Freude daran usw. Entsprechend ist die gegenseitige Wertschätzung groß.
    Kunst ist Setzung und Behauptung. Gelingt es Dir, genügend Anhänger*innen Deiner als antiquiert empfundenen Lyrik zu finden, bist Du schnell über alle Zweifel erhaben. Vielleicht mögen Dich dann die Kritiker*innen immer noch nicht, aber vielleicht Dein Publikum umso mehr.
    Ulrike, Du hast Deine eigene Sprache. Die ist vielleicht nicht State of the Art , aber wahrscheinlich mag ich sie gerade deswegen. Man kann antiquierte Treppen besteigen, zerfallende Stufen vorsichtig betreten oder auf betonierten Stararchitektentreppen stolzieren.

    Herzlich, Urs
    (Immerhin hast Du in schönster Umgebung gelitten, da scheint durchaus ein bisschen Neid auf…)

    1. Vielen Dank für deine aufbauenden und gewitzten Worte, lieber Urs! Ja, es ist schon eine Krux mit der Kunst – wer legt fest, was kunstvoll ist? Du hast Recht, dass es gar nicht objektiv bewertbar ist – da gibt eine graue Facheminenz den Ton an. Ich wäre jedenfalls lieber Publikumsliebling, als Kritikerliebling. Jetzt steige ich doppelt gerne auf meinen antiquiert knarzenden Treppenstufen zum lyrischen Lächeln empor. Designertreppen sind eh nicht so mein Geschmack. 😉
      PS: Ja, das Ambiente und die Lebendigkeit dieses Ortes mit den vielen kreativen Menschen habe ich sehr genossen.

  5. Von deinem vortrefflichen Gedicht gefällt mir jede Zeile! Meine Lieblingsstellen sind:
    “vorzugsweise blanke Verse ohne Panther ohne Pathos” — “Ballerina lässt taktlos tanzen” — “tauche Federkiel in Wörterwellengang” — “suche reine Lyrik Lichtung sollst Räume öffnen Türen eintreten”.

    Amüsiert habe ich mich über den Hühnerscheiß. 🙂 Mir schlägt das Herz allerdings schwer, wenn ich lese “Herzschmerz steht unter Kitschverdacht”: Das mag ich doch so gerne!
    Du solltest auf jeden Fall das Dichten beibehalten, denn die Früchte seiner Gedanken sind saftig!

    1. Vielen Dank liebe Dorit! 🙂 Freue mich sehr über deine Eindrücke zu meinem Gedicht. Keine Sorge, auf Herz und Schmerz werde ich auch zukünftig nicht verzichten – als bitter-süße Geschmackskomponente im lyrischen Fruchtfleisch.

  6. Sehr lebendig erzählt. So war es. Erstaunlich objektiv, trotz der persönlichen Involviertheit. Wahrscheinlich wäre es einfacher, zuerst ein Thema zu haben und dann nach der richtigen Form Ausschau zu halten beim Dichten. Wenn das Thema die Bedrohung des Individuums in einer kollektivierenden Gesellschaft ist, wie in deinem Blick auf China, dann kann Dichten wie Rilke die modernste Form sein. Wer liebt und sich seines reinen Herzens vergewissern will, der sollte dichten wie Goethe. Wer sich seines Leibs bemächtigen wie wie deine Ballerina, der schreibt wie die Leipziger Schule. Aber einen Unterschied zwischen Lyrik und Gelegenheitsamateurdichtung gibt es. Woran erkennt man das?

    1. Ganz lieben Dank! 🙂 Ja, ich denke auch, dass man als moderne Dichterin noch von den alten Meistern lernen kann und es gut ist, sich ein Handwerkszeug und eine Bandbreite von Stilen und Ausdruckmöglichkeiten anzueignen. Den Unterschied zwischen gekonnter Lyrik und Zufallsdichtung zu erkennen – da könnte ich keine festen Kriterien für festlegen – aber wenn man viel Lyrik liest, bekommt man vielleicht ein Gespür dafür, ob eine Wörterkomposition kunstvoll ist. Eine große Rolle dabei spielt sicher auch der persönliche Geschmack – was im Übrigen auch für Prosatexte gilt.

  7. Liebe Ulrike,
    ich habe beim Lesen Deines Textes mit Dir mit gelitten. Meine Hochachtung, dass Du Dich dieser Situation eine Woche lang ausgesetzt hast. Das ist ja nicht zu fassen, dass es so etwas gibt und eigentlich verwunderlich, dass nur eine Teilnehmerin vorzeitig abgereist ist. Beim Lesen Deiner -wie immer sehr unterhaltsamen Beschreibung- packte mich immer mehr der Zorn, ob der Blasiertheit der Ballerina und in mir wuchs die Lust, der Dame mal heftig vors zarte Schienbein zu treten. Lass Dich von solchen Gestalten bloß nicht unterkriegen. Wer sind die denn, dass sie sich anmaßen, Dich persönlich so abwerten zu dürfen? Wahrscheinlich zickige Konkurrenzweiber. Es darf keine anderen Lyrikerinnen neben ihnen geben. Auch wenn es auf mich nicht ankommt, ich bin Fan Deiner Gedichte und möchte Dir ganz antiquiert zurufen: Schreib weiter, wie es Dir Herz und Stift oder Tastatur eingeben, Deine LeserInnen werden es Dir danken.
    Liebe Grüße
    Anne

  8. Liebe Ulrike, es ist schon beinahe ein Jahr seit dem Kunstsommer vergangen, und durch Zufall habe ich deinen Beitrag gefunden. Ich bin sehr traurig über diesen Beitrag – einerseits, weil es dir in meinem Kurs anscheinend wirklich nicht gut ging und du enttäuscht, wütend und verletzt klingst, andererseits bin ich aber auch traurig über deine Darstellung hier, die ich als ziemlich verfälschend empfinde. Es fängt schon damit an, dass ich gar keine “Ballerina” bin. Ich habe von dir in den Tagen des Kurses eigentlich auch immer mal ein positives Feedback bekommen, zum Beispiel hast du mir gegenüber in unserem Einzellektorat am vorletzten Tag geäußert, dass du dich ermutigt gefühlt hast, auch mal andere Schreibweisen auszuprobieren und das auch spannend fandest. Und eigentlich hatte ich gerade bei dir den Eindruck, dass du dich weiterentwickelt und mit deiner ruhigen und besonnenen Art (so wirkte es auf mich) vieles von dem angenommen hast, was ich versuchte, dir zu vermitteln. Ja, der Kurs war insgesamt wirklich kein einfacher Kurs, das lag an der Zusammensetzung der TN, und ich hatte wirklich Schwierigkeiten, den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, die ja auch zum Teil sehr dominant geäußert wurden, gerecht zu werden. Ich bin aber nun mal keine Pädagogin, sondern Künstlerin, ich kann kein perfekt didaktisches Seminar abliefern, und das ist doch auch überhaupt nicht das Merkmal des Kunstsommers. Im übrigen hatten nicht wenige von den anderen Meistern und Meisterinnen diesbezüglich ganz ähnliche Probleme. Was die Kritik an deinen Gedichten anbelangt: Die wurde ja gerade an deinem ersten Gedicht so scharf nicht von mir geäußert, sondern von einigen der TN. Ich habe einigen Aspekten darin zugestimmt und diese Kritik selbst aber versucht, konstruktiv zu äußern, das ist für mich als Kursleiterin selbstverständlich. Dass man generell auch (negative) Kritik an Gedichten äußern darf, ist aber nun mal Voraussetzung in so einem Kurs. In meiner Klasse ging es nun mal um zeitgenössische Lyrik, und du schreibst ja in deinem Beitrag selbst, dass du gar nichts von Gegenwartslyrik weißt. Das habe ich natürlich so auch nicht erwartet, dass sich Leute in meinem Kurs anmelden, die sich vorher mit seinem Thema noch gar nicht beschäftigt hatten. Und da wars dann schwer – für dich und für mich – einen gemeinsamen Modus der Verständigung zu finden, weil die Hintergründe so unterschiedlich waren. Mein Eindruck war schon auch, dass du verletzt warst, weil es überhaupt Kritik an deinem (ersten) Gedicht gab. Aber ist das nicht auch ein Aspekt, weshalb man so einen Kurs belegt: Dass man lernt, auch mit anderen Sichtweisen auf die eigene Arbeit zurecht zu kommen? Gerade die Erfahrung, dass nicht alle Leute unsere Arbeiten toll finden, ist es doch, die einen auch weiterbringt. Wie gesagt, handelte es sich bei den Kunstsommer-Kursen um “Meisterklassen”. Die Bezeichnung finde ich eigentlich blöd, weil ich zumindest mich gar nicht als “Meisterin” empfinde. Ich habe vielleicht ein wenig mehr an Erfahrung auf dem Gebiet der Lyrik, als ihr TN es hattet, und an dieser Erfahrung, so war mein Anliegen, hätte ich euch gern teilhaben lassen. Aber mein Eindruck war der, dass einige von euch gar kein Interesse daran hatten, Erfahrungen zu sammeln und Neues auszuprobieren. Bei einigen schien es nur darum zu gehen, dass man ihre Gedichte lobt. So funktioniert es aber in der gesamten Kunst nicht. Das habe ich vielleicht unterschätzt, dass die Erwartungen an meinen Kurs bei einigen, vielleicht auch bei dir, woanders lagen. Das tut mir auch leid, und vielleicht bin ich zu sehr mit den Erfahrungen meines Unterrichts an den Schreibinstituten der Unis ausgegangen, wo Kritik völlig normal ist und auch nicht als etwas Negatives empfunden wird. Ich hoffe, du konntest in der Zwischenzeit vielleicht andere, bessere Erfahrungen machen mit Gedichten, und wünsche dir gutes Vorankommen mit deinem Schreiben. Herzliche Grüße, Martina
    P.S. einen “elitären Leipziger Lyrikzirkel” gibt es eigentlich nicht, ich wüsste gar nicht, wer dazu gehören sollte und was und wen genau du damit meinst. Wenn es dein Eindruck ist, dass es so einen elitären Zirkel gibt, wäre es sicher gut, du präzisierst das ein wenig. Worin liegt das Elitäre für dich? Wer ist in diesem Zirkel? Usw.

    1. Liebe Martina, vielen Dank für deinen Kommentar, der deine Sichtweise auf unsere gemeinsame Woche gut deutlich macht. Menschen nehmen Situationen immer unterschiedlich wahr und ich habe in meinem Blogbeitrag meine subjektiven Eindrücke wiedergegeben (auch mit Selbstironie), die keinen Anspruch darauf erheben, eine objektive Darstellung zu sein und ich wollte damit niemanden (auch dich nicht) diskreditieren. Es tut mir leid, dass du meine Darstellung als verletzend empfindest, das war und ist nicht meine Absicht.
      Kritik an Texten halte ich für sehr wichtig und ich nehme Kritik an meinen Texten, ob Lyrik oder Prosa, immer gerne an und nutze sie, um meine Texte zu verbessern. Eine wertschätzende Feedbackkultur muss jedoch in jeder Gruppen etabliert werden – und da habe ich die Stimmung im Lyrik-Kurs des Kunstsommers als nicht sehr positiv wahrgenommen (zunehmend geprägt von persönlichen Animositäten einzelner Teilnehmender). Ich bin aus meinem MA-Studium “Biografisches und Kreatives Schreiben” an der ASH Berlin eine andere Feedbackkultur gewöhnt. Da ich dort selbst zur Schreibpädagogin ausgebildet werde, bin ich mit Theorien zur Gruppendynamik vertraut und weiß, dass es für die Leitungsperson einer Schreibgruppe eine große Herausforderung ist und auch einiger Erfahrung und pädagogischer Instrumente bedarf, eine Gruppe erfolgreich zu steuern. Hier hatte ich den Eindruck, dass dir die Gruppenleitung teilweise von dominanten Einzelpersonen aus der Hand genommen wurde und sich so die (für mein Empfinden) konfliktgeladene und negative Stimmung ausbreiten konnte.
      Ich hatte auch viel Kontakt mit Teilnehmenden aus der Prosa-Meisterklasse und dort habe ich eine ganz andere Stimmung wahrgenommen, die mir sehr viel mehr zugesagt hat. Dabei geht es nicht darum, für seine Texte gelobt zu werden, sondern um einen wertschätzenden und interessierten Umgang miteinander.
      Ich möchte betonen, dass ich viel Wertvolles aus deiner Klasse mitgenommen habe (auch wenn es eine “harte Schule” war) und dass ich deine Anregungen zu meinem Gedicht in unserem Einzelgespräch sehr hilfreich und ermutigend fand.
      Jedenfalls werde ich diesen Sommer wieder an einer Meisterklasse teilnehmen (Prosa) und dort sicherlich wieder andere Erfahrungen machen.
      Herzliche Grüße

      1. Liebe Ulrike, vielen Dank auch dir für deine Antwort. Die Selbstironie habe ich tatsächlich nicht so ganz aus deinem Beitrag herauslesen können, da sieht man gleich wieder, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen von Texten sind 🙂 (Und wenn dann in einem der Kommentare hier unten auch davon die Rede ist, mir sollte mal “ans Schienbein getreten werden” und es damit ein wenig in Richtung körperlicher Angriff geht, wenn auch nur in Worten, fühle zumindest ich mich nicht mehr so ganz wohl mit der (Selbst-) Ironie). Verletzt hat mich der Beitrag nicht, ich war vor allem traurig darüber, dass wir nicht vorher mal in ein Gespräch gefunden haben und es so viele Missverständnisse gab. Womit du auf alle Fälle Recht hast, ist, dass es eine ganz schwierige Gruppe war. Ich habe, das gebe ich ehrlich zu, manchmal wirklich meine Motivation verloren, mich weiter einzubringen, und sicher habe ich oft nicht pädagogisch sinnvoll gehandelt. Ich wollte eigentlich allen in der Gruppe irgendwie gerecht werden, vielleicht war ja auch genau das ein Fehler. Aber in der Kunst geht es tatsächlich nicht immer so fehlerfrei zu, wie wir uns das wünschen. Das macht die Kunst auf ja eigentlich auch aus. Es gibt immer Dynamiken, die alles umwerfen – und ich denke, es ist auch manchmal gut, in der Kunst nicht zu überpädagogisieren. Denn Kunst ist eben – Kunst. Ich freue mich sehr, dass wir hier nochmal ins Gespräch gefunden haben, und wünsche dir eine tolle Woche beim Prosa-Kurs, und weiterhin alles Gute! Viele Grüße, Martina

  9. Liebe Ulrike, nochmal kurz, das habe ich in meinem vorigen Kommentar vergessen zu erwähnen: Du schreibst, ich hätte es mir verbeten, dass man mich in den Pausenzeiten anspricht. Das ist so nicht ganz richtig. Es stimmt, dass ich einige TN darum bat, in den Pausen nicht auch noch mit Fragen zu Gedichten zu mir zu kommen. denn genau das ist am Anfang ziemlich häufig passiert, dass ich schon beim Frühstück gebeten wurde, dieses oder jene Gedicht mal anzusehen, oder dass ich beim Mittagessen um Rat gefragt wurde, wie dieser oder jener Vortrag sich besser für die Abschlusslesung eigne. Ich saß beim Essen immer sehr gerne mit Leuten aus meiner Klasse zusammen und habe mich viel und gern mit ihnen unterhalten – aber gerade da wollte ich eigentlich Raum geben, uns über andere Dinge auszutauschen als über Lyrik. Wir haben – ich glaube – 6, 7 Stunden am Tag zusammen über eure und allgemein über Texte gesprochen, da ist es vielleicht auch ein wenig verständlich, dass ich als Kursleiterin auch eine Pause davon brauche, denke ich. So, das wars nun aber wirklich. Ich fände es sehr fair von dir, meine Kommentare auch zu veröffentlichen. Und vielleicht gelingt uns ja sogar nochmal ein Austausch über das Seminar. Ich bin sehr offen dafür, und meine E-Mail-Adresse hastr du ja. Viele Grüße, Martina

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