Am Montagmorgen überfällt mich ein Anflug von Panik, denn ich habe am Sonntagabend gerade mal die erste Seite geschafft. Aber Zeitdruck scheint meine Kreativität durchaus zu fördern, denn ich komme beim Schreiben gut in Schwung und um 13 Uhr steht mein Text.
Angelehnt an die Streiche von Max und Moritz nenne ich meine Hauptfigur Moritz. Die Sieben ist eine typische Märchenzahl, also nimmt meine Geschichte auch die Züge eines urbanen Märchens an. Für das Schlüsselereignis (eine Frau gibt einem Cafétischnachbarn ihre Sachen in Obhut und verschwindet) habe ich mich vom Text meines geschätzten Blog-Kollegen Urs inspirieren lassen und den Dialog aus seiner Zürcher Erzählung in meinen Text importiert. Vielen Dank dafür!
Am Abend bin ich also bereit, dem interessierten Publikum meinen Text vorzulesen. Ich bekomme einiges an positivem Feedback und ein paar Fragen. Zum Schluss überreicht mir Leovinus (Moderator und Stammautor der Lesebühne) eine Ehrenurkunde. So macht Vorlesen Spaß!
Jetzt wünsche ich euch viel Vergnügen beim Nachlesen meines Texts.
Sieben
Streiche Leben
Tag
1: Müßiggang ist so alt wie die Zeitung von gestern
Moritz
sitzt am dreibeinigen Tisch vor dem Café Degas und nimmt einen
Schluck von seinem Cappuccino. Er wischt sich den Schaumbart von der
Oberlippe und vertieft sich ins Feuilleton seiner Zeitung. Im Gorki
Theater spielen sie “Übermut muss leiden” – ohne Text und
textilfrei. Das Papier raschelt, als er umblättert. Ein Pappbecher
taucht in seinem Gesichtsfeld auf, in dem Geldmünzen klirren. Er
hebt den Blick. Der Pappbecher wird von einer blassen Hand gehalten,
die an einem ebenso blassen Arm mit grünen Tätowierungen hängt.
Drachen und Schlingpflanzen. Dazu gehört ein sehniger Körper in
einem T-Shirt mit Löchern am Kragen. Rissige Lippen formen stumme
Worte, eine Baseballmütze legt einen Schatten über die Augen. Im
Pappbecher rasseln wieder die Münzen. Moritz kramt in seiner
Jackentasche nach einem Euro und wirft ihn in den Becher. Der Bettler
schlurft weiter und Moritz fühlt sich erleichtert. Ein Euro ist ein
kleiner Preis für die sanfte Gewissensruhe. Er liest weiter. Die
Abendsonne wirft einen rosa Lichtkegel auf die Buchstabenreihen der
Zeitung und lässt den Geruch von Druckerschwärze in seine Nase
steigen. Im Wirtschaftsteil liest er von K.I.’s, die in China gebaut
werden und bald die Menschheit unterwerfen werden. Moritz bestellt
einen Aperol Spritz beim Kellner mit Vollbart, der barfuß geht. Sein
Smartphone vibriert und auf dem Display erscheint eine
Terminerinnerung: “19:30 Uhr Workout Superfit”. Moritz
seufzt und wischt die Einblendung weg. Er legt einige Münzen auf den
Tisch, rollte die Zeitung zusammen und steht auf.
Auf der
Karl-Marx-Straße bahnt er sich einen Weg zwischen Obstständen und
Ramschkörben hindurch, die den Bürgersteig zum Hindernisparcours
machen. An der Ampel muss er warten. Ein Bagger reißt Furchen in den
Asphalt und das Motorenbrummen deckt seine Gedanken zu. Sein Blick
schweift über den Metallmast der Ampelanlage. Jemand vermisst seine
Katze Miau, schwarz-weißes Fell und auf einem Auge blind. Ein altes
Ehepaar sucht eine Wohnung im Parterre im Tausch gegen ihre
Loftwohnung. Dazwischen Aufkleber. Ein Berliner Bär liegt in einer
Hängematte und darunter steht: “Der Faule lacht am besten”.
Moritz lächelt.
T
Wer wissen möchte, wie es weiter geht – meine Erzählung ist in einer Anthologie erschienen: “Den Wellen gegenüber: Blaue Erzählungen und Gedichte”.
Man kann das Buch z.B. hier kaufen: https://www.amazon.de/Den-Wellen-gegen%C3%BCber-Erz%C3%A4hlungen-Gedichte/dp/3748166966
Ich habe mich wieder von einem Märchen meiner Schwester Leonie aus Kindertagen (sie war ca. 12 Jahre alt, als sie es geschrieben hat) inspirieren lassen und eine Fortsetzung zu ihrer Geschichte “Der falsche Mond” geschrieben. Ich hoffe, ihr bekommt beim Lesen Appetit.
Wer Prinzessin Leonore als Kind kannte, der weiß, dass sie den ganzen Hofstaat mit ihren Wünschen auf Trapp hielt. Ständig musste der König den Oberhofmarschall einberufen und ihm die Bestellungen seines Töchterchens diktieren. Die Gärtner pflückten die schönsten Blumen, die Jäger fingen die exotischsten Tiere, sogar den legendären Feuervogel, und der Hofbackmeister buk jeden Tag eine köstliche Himbeertorte. Bis zu dem Tag, als Prinzessin Leonore sich an der Himbeertorte überfressen hatte und krank wurde. Ihr erinnert euch sicher, wie sie sich den Mond vom Himmel herab wünschte und der Zauberer Ambra-Kandra ihr einen falschen Mond brachte.
Prinzessin Leonore erkannte die Täuschung und wurde auch ohne Mond gesund. Sie hatte gelernt, dass manche Wünsche unerfüllbar waren und dass sie es mit ihrer Geschenke-Sucht übertrieben hatte.
Aber auch die hellste Erleuchtung ist nicht gegen das Verblassen durch die Zeit gefeit, die Läuterung verhallt und alte Laster kehren zurück. Die Prinzessin wuchs heran und als sie 22 Jahre alt wurde, war ein neuer Wunsch in ihr heran gereift. Sie wollte heiraten. Aber es sollte ein Jüngling sein, der ihr jeden Herzenswunsch erfüllen konnte. Sie wollte die Heiratsanwärter auf die Probe stellen. Nur demjenigen mit dem besten Liebesbeweis würde sie ihr Herz und ihre Hand schenken. Da sie seit zwölf Jahren keine Himbeertorte mehr gegessen hatte, verspürte sie ein unbändiges Verlangen danach. Ihr die köstlichste Himbeertorte zu bringen sollte die Aufgabe für die Heiratskandidaten sein.
Also rief der König den Oberhofmarschall zu sich. Dieser war in den Jahren der Untätigkeit träge und unkonzentriert geworden, selbst wenn seine Frau ihn mit ihrer Einkaufsliste zum Markt schickte, verwechselte er regelmäßig Kartoffeln mit Karotten oder brachte Eier statt Milch mit.
“Mache im ganzen Königreich
bekannt, dass Prinzessin Leonore heiraten will und denjenigen zum
Mann nimmt, der ihr die köstlichste Himbeertorte bringt. Jeder Mann
darf um sie werben, er muss nicht einmal ein Prinz sein.”
Diese Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land und alle unverheirateten Buben, Männer und sogar Greise wollten um die Prinzessin werben. Die meisten taten das nicht aus Zuneigung zur Prinzessin, denn sie kannten das Mädchen gar nicht, sondern weil sie gerne ein sorgenfreies Leben im Schloss führen wollten.
Innerhalb kürzester Zeit waren im ganzen Land alle Himbeeren aufgekauft. Auch die Milch für die Sahnecreme war nur noch unter Mühen zu bekommen.
Der Kaufmannssohn Magnus machte keine halben Sachen. Er kaufte sämtliche Himbeeren auf und ließ die überzähligen zu Saft zerquetschen, damit seine Konkurrenten keine Chance mehr haben sollten. Er engagierte den berühmtesten Konditor und ließ ihn eine mehrstöckige Himbeertorte von der Größe eines Ochsen herstellen. Die Torte gelang, sah herrlich aus und wurde auf einem Leiterwagen zum Königsschloss gebracht, der Kaufmann stolzierte in seinem Sonntagsanzug nebenher.
Es gab noch einen zweiten Kandidaten, der sich Prinzessin Leonore präsentierte. Es war der Student Stultus, der im 14. Semester Philosophie, Altgriechisch und Latein studierte und mit der realen Welt nicht sehr vertraut war. Torten backen konnte er nicht. Er hatte auch kein Geld, um einen Konditor zu bezahlen. Aber er hatte Vertrauen in Dinge, die man nicht begreifen kann und so wandte er sich an den Zauberer Ambra-Kandra. Dieser sollte eine große und schmackhafte Himbeertorte herbei zaubern – zum Lohn würde er ihm ein Lexikon aller Zaubersprüche schreiben. Wie ihr wisst, ist der Zauberer Ambra-Kandra kein echter Zauberer, sondern ein Trickkünstler.
Die Täuschung mit dem Mond für die Prinzessin war ihm vor zwölf Jahren misslungen. Aber an die Tortenzauberei machte er sich mit großem Eifer. Er baute ein siebenstöckiges Tortengestell aus Draht und Pappe von der Größe eines Elefanten. Er kleidete das Gestell in eine Schicht von Gips ein, die aus der Distanz wie Sahnecreme aussah. Für die Himbeeren blies er rote Luftballons auf. So stand der Student Stultur nun neben der gigantischen Himbeertorte des Zauberers im Innenhof des Schlosses und Prinzessin Leonore blickte vom Balkon herab.
Gleich neben ihm stand ein hübscher Bursche mit einer Gitarre über der Schulter. Die Prinzessin erkannte ihn als den Hofmusikanten Anton, der ihr mit seiner schönen Stimme schon so manches Lied vorgesungen hatte. Anton hielt ein Himbeertörtchen vor sich, das nicht viel größer als seine Handfläche war. Er hatte die Himbeeren im Wald gepflückt und die Milch für die Sahnecreme von der einzigen Kuh seiner Eltern geholt.
Im Hof hatten sich noch viele andere Heiratskandidaten versammelt. Der Oberhofmarschall inspizierte ihre prächtigen Torten. Aber aus Mangel an Himbeeren hatten sich die Männer mit Brombeeren und Erdbeeren beholfen und das war gegen die Regeln. Sie wurden alle weg geschickt.
So blieben nur noch der Kaufmannssohn Magnus, der Student Stultus und der Musikant Anton stehen. Zuerst deutete die Prinzessin auf die Riesentorte. Feierlich schritt der Oberhofmarschall mit einem Messer so groß wie eine Mistgabel auf das Zauberwerk zu. Als er ein Stück abschneiden wollte, glitt die Messerspitze von der harten Oberfläche ab und stach in eine der Riesenhimbeeren und es knallte laut, denn es war ja nur ein Luftballon, der nun zerplatzte. Die Zuschauer auf dem Balkon lachten und Zauberer Ambra-Kandra schlich auf Zehenspitzen davon. Der Student murmelte “ingratum trahit orbis terrarum” vor sich hin und schlurfte nach Hause.
Als nächstes nickte die Prinzessin in
Richtung der stattlichen Torte des Kaufmannsohnes. Magnus grinste mit
stolz geschwellter Brust und war sich seines Sieges sicher. Das
lächerliche Törtchen des Musikanten hatte keine Chance. Der
Oberhofmarschall schnitt ein Stück aus der prächtigen Himbeertorte
und brachte der Prinzessin den Teller. Mit einem goldenen Gäbelchen
kostet sie davon und nickte zufrieden.
Nun winkte sie dem Musikanten, er solle herauf kommen. Anton sprang die Stufen hoch zur Galerie und verbeugte sich unelegant vor der Prinzessin, dabei fiel ihm die Gitarre auf den Boden, aber das Törtchen konnte er vorm Absturz retten. Prinzessin Leonore kicherte.
Sie nahm das Törtchen mit den winzigen Waldhimbeeren aus seiner Hand entgegen und biss herzhaft hinein. Es schmeckte köstlich. Sie aß das ganze Törtchen in vier Bissen auf.
“Mein Appetit ist noch nicht gestillt”, sagte die Prinzessin. Der König runzelte seine Stirn und die Zuschauer auf der Galerie tuschelten miteinander. Sie waren sich nicht sicher, ob die Prinzessin den Törtchenbäcker lobte oder tadelte.
“Wenn du heute schon satt davon
geworden wärst, würdest du dir nicht wünschen, dass ich morgen
wiederkomme”, sagte Anton und lächelte sie an. Prinzessin
Leonore lächelte zurück.
“Du sollst morgen wiederkommen”,
sagte sie. Anton nickte glücklich.
“Hier ist eine ganze Torte für
dich. An der kannst du dich satt essen”, rief Magnus aus dem Hof
herauf. Sein Kopf war vor Wut so rot wie eine Himbeere.
“An deinem Überfluss verderbe ich
mir den Magen”, sagte die Prinzessin und wedelte mit ihrem
Spitzentaschentuch dem Oberhofmarschall zu, damit er den
Kaufmannssohn vor die Tür setzen sollte. An diesem Tag schmauste die
ganze Hofgesellschaft an der riesigen Torte und die Prinzessin
lauschte dem Gesang von Anton.
Anton kam die Prinzessin am nächsten
Tag wieder mit einem Törtchen besuchen und sie musizierten zusammen.
Und so ging es Tag um Tag, Woche um Woche, bis zu ihrer Hochzeit.
Und wenn sie sich nicht an Himbeeren übergegessen haben, dann lieben sie sich noch heute.
Mir ist letztens ein tolles Fundstück in die Hände gefallen: Drei Märchen aus der Feder meiner kleinen Schwester Leonie, die sie als 12-Jährige geschrieben hat (die Altersangabe ist eine Schätzung, da weder die Befragung der Autorin, noch die Analyse des Dokuments eine eindeutige historische Einordnung zuließen). Leonie hatte schon als Kind – auch dank ihres Lesehungers – eine reichhaltige Fantasie und hat sich ständig Geschichten ausgedacht. Was für ein Glück, dass einige (wenige) davon auf Papier gebannt sind. Meine treuen Blogleser*innen der ersten Stunde kennen Leonie schon als meine Begleiterin bei der Erkundung vom Spreepark und vom Allmende Kontor.
Leonie (als 12-Jährige) und ich (mit meiner Nichte)
Eines ihrer Märchen heißt “Der Geist in der Wanduhr” (lesen lohnt sich!) und spielt in Japan. Diese originelle und witzige Geschichte hat mich zu einem eigenen Märchen inspiriert, das die Vorgeschichte des lieben Geistes erzählt.
Eine Geistergeschichte zum 1. Mai passt gut, denn zum walpurgischen Tanz in den Mai treffen sich nicht nur Hexen, auch andere übersinnliche Gestalten treiben ihr Unwesen. Da verwundert es nicht, dass ein kleiner japanischer Gast durch meinen Blog gegeistert ist. Bin gerade sowieso im Japan-Feeling seit ich in den letzten Tagen einige Dokumentation über das Land angeschaut habe. Außerdem ist gestern der Japanische Kaiser Akihito von seinem Chrysanthementhron gestiegen, um den Platz seinem Sohn Naruhito zu räumen, der heute den Thron besteigt. Ob der als Kind wohl auch den Geschichten vom verwunschenen Reich Naban gelauscht hat?
Der un-unheimliche Geist aus Naban
Fürchtet ihr euch vor Geistern? Das solltet ihr! Geister sind unheimliche Wesen, die durch Schlüssellöcher und Ritzen kriechen wie der Nebel, die nachts die Dielen zum knacken und die Türangeln zum quietschen bringen, die “Huuuuuh” in euer Ohr hauchen, so dass ihr eine Gänsehaut bekommt. Das ist die Regel. Aber was ist, wenn ein Geist das alles nicht kann? Von solch einem Geist möchte ich euch erzählen.
Möchtet ihr gerne wissen, wie dieses Märchen weiter geht? Dann schaut einmal hier vorbei: Meine Geschichte vom un-unheimlichen Geist aus Naban, der beinahe durch die Geisterprüfung fällt, ist inzwischen in der Anthologie “Das Azurblaue Königreich” erschienen.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und Entdecken.