Melancholie und Sehnsucht: Liedgesang auf höchstem Niveau mit Jonas Kaufmann und Diana Damrau in der Philharmonie Berlin

Berlin, 30. Juni 2025

Wie eindringlich und berührend Liedgesang sein kann, beweisen Startenor Jonas Kaufmann und Sopranistin Diana Damrau in ihrem Liederabend, der Stücken von Richard Strauss und Gustav Mahler gewidmet ist.

Jonas Kaufmann und Diana Damrau, Foto ©Julia Wesely

Das eingespielte Duo ist schon zum dritten Mal mit ihrem versierten Liedbegleiter Helmut Deutsch auf Tournee (zuvor von 2018 und 2022). Kaufmann und Damrau – beide gebürtige Bayern – kennen sich seit 1997 und haben schon viele musikalische Glanzmomente gemeinsam gestaltet und verstehen sich auch in menschlicher Hinsicht prächtig, was in ihrer Interaktion auf der Bühne deutlich zu Tage tritt.

An diesem heißen Sommerabend ist die Berliner Philharmonie nur gut zur Hälfte gefüllt trotz der hochkarätigen Besetzung. Kaufmann tritt im Frack vors Publikum, Damrau zeigt sich in einem ausladenden Kleid in Rosé und nach der Pause in einem frischen blauen Gewand passend zu den „Rheinlegendchen“.

Helmut Deutsch (Klavier), Diana Damrau (Sopran), Jonas Kaufmann (Tenor) in der Philharmonie Berlin

Der Liedgesang gilt als die höchste Kunstform, zu Recht, denn man kann sich hier stimmlich nicht verstecken, kein Orchester deckt kleine Schwächen gnädig zu, jeder Ton wird den Zuhörenden wie auf dem Silbertablett präsentiert. Und Kaufmann und Damrau beherrschen diese hohe Kunst beide meisterlich.

Jonas Kaufmann versteht es, die melancholischen Lieder mit großer Empfindsamkeit und Tiefe zu gestalten. Dabei klingt seine warme Stimme auf jedem Ton schön, die Übergänge zwischen den Registern sind leicht und fließend. Er singt mit großer Textverständlichkeit, ohne dabei unnatürlich zu klingen oder Konsonanten zu „spucken“.

Der emotionale Höhepunkt in seinem fesselnden Vortrag ist das tieftraurige „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ von Gustav Mahler mit Text von Friedrich Rückert, bei dem das Publikum ihm mit angehaltenem Atem lauscht. Selbst, als der letzte Ton verklungen ist, liegt ein sekundenlanges andächtiges Schweigen im Raum, bis frenetisch applaudiert wird.

Diana Damrau brilliert mit ihrem edlen Sopran, der leicht und flexibel ist, dabei niemals schrill klingt. Sie gestaltet die Lieder mit viel Temperament und ist für die komödiantische Note zuständig.

Obwohl sie mit einer Erkältung zu kämpfen hat und zwischendurch einige Male husten muss, ist ihr Gesang makellos schön.

Tenor und Sopran wechseln sich im Gesang ab, jedoch spannen sie gemeinsam einen Erzählbogen, mit Blicken und Gesten stellen sie eine Verbindung zueinander und zwischen den Liedern her, was sehr einnehmend wirkt.

Helmut Deutsch ist ein sehr einfühlsamer Klavierbegleiter, der nicht nur die Stimmen untermalt, sondern auch eigene Akzente setzt und ein tiefes Verständnis für die Musik offenbart.

In der ersten Zugabe „Trost im Unglück“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ von Gustav Mahler geben Kaufmann und Damrau ein zerstrittenes Liebespaar mit herrlicher Komik und Spielfreude zum Besten und bringen das Publikum zum Lachen.

Im letzten Vers heißt es:

„Du glaubst, ich werd’ dich nehmen!
Das hab’ ich lang’ noch nicht im Sinn!
Ich muß mich deiner schämen
Wenn ich in Gesellschaft bin!“

Auch die zweite Zugabe sprüht vor Lebensfreude – mit „Saft und Kraft“ wie es im „Wiener Blut“ heißt, das aus der komischen Operette von Johann Strauss (Sohn) stammt. Das gutgelaunte Duo besingt die Missverständnisse einer Liebesbeziehung und legt dabei einen kleinen Walzer aufs Parkett. Der Abend endet mit stehenden Ovationen für die drei Musiker:innen.

Ein rundum gelungener Liederabend voller Gefühl und Stimmschönheit mit sympathischen Klassik-Stars.

Das Programm:

Richard Strauss (1864-1949):

Acht Lieder (aus „Letzte Blätter“ auf Texte von Hermann Gilm, op. 10)

  • Zueignung
  • Nichts
  • Die Nacht
  • Die Georgine
  • Geduld
  • Die Verschwiegenen
  • Die Zeitlose
  • Wer hat’s getan
  • Allerseelen

Liebeshymnus, op. 32, Nr. 3 (aus „Fünf Lieder“; Text: Karl Friedrich Henckell)

Schlagende Herzen (aus „Drei Lieder“, op. 29, Nr. 2; Text: Otto Julius Bierbaum)

Ich trage meine Minne (aus „Fünf Lieder“, op. 32, Nr. 1; Text: Karl Friedrich Henckell)

Einerlei (aus „Fünf kleine Lieder“, op. 69, Nr. 3; Text: Ludwig Achim von Arnim)

Nachtgang (aus „Drei Lieder“, op. 29, Nr. 3; Text: Otto Julius Bierbaum)

Freundliche Vision (aus „Fünf Lieder“, op. 48, Nr. 1; Text: Otto Julius Bierbaum)

Ich liebe dich (aus „Sechs Lieder“, op. 37, Nr. 2; Text: Detlev von Liliencron)

Wie sollten wir geheim sie halten (aus „Sechs Lieder aus Lotosblätter“, op. 19, Nr. 4; Text: Adolf Friedrich von Schack)

PAUSE

Gustav Mahler (1860-1911):

  1. Rheinlegendchen (aus „Des Knaben Wunderhorn“; Text: Anon.)
  2. Um schlimme Kinder artig zu machen (aus „Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit“; Text: Anon.)
  3. Wer hat dies Liedlein erdacht (aus „Des Knaben Wunderhorn“; Text: Anon.)
  4. Ablösung im Sommer (aus „Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit“; Text: Anon.)
  5. Es sungen drei Engel einen süssen Gesang (aus „Des Knaben Wunderhorn“; Text: Anon.)
  6. Ich atmet‘ einen linden Duft (aus „Fünf Lieder nach Texten von Friedrich Rückert“; Text: Friedrich Rückert)
  7. Liebst du um Schönheit (aus „Fünf Lieder nach Texten von Friedrich Rückert“; Text: Friedrich Rückert)
  8. Blicke mir nicht in die Lieder (aus „Fünf Lieder nach Texten von Friedrich Rückert“; Text: Friedrich Rückert)
  9. Ich bin der Welt abhanden gekommen (aus „Fünf Lieder nach Texten von Friedrich Rückert“; Text: Friedrich Rückert)

Richard Strauss

  1. Leises Lied (aus „Fünf Lieder“, op. 39, Nr. 1; Text: Richard Dehmel)
  2. Wozu noch, Mädchen (aus „Sechs Lieder aus Lotosblätter“, op. 19, Nr. 1; Text: Adolf Friedrich von Schack)
  3. Breit über mein Haupt (aus „Sechs Lieder aus Lotosblätter“, op. 19, Nr. 2; Text: Adolf Friedrich von Schack)
  4. Ich schwebe (aus „Fünf Lieder“, op. 48, Nr. 2; Text: Karl Friedrich Henckell)
  5. Heimliche Aufforderung (aus „Vier Lieder“, op. 27, Nr. 3; Text: John Henry Mackay)
  6. Ruhe, meine Seele (aus „Vier Lieder“, op. 27, Nr. 1; Text: Karl Friedrich Henckell)
  7. Morgen (aus „Vier Lieder“, op. 27, Nr. 4; Text: John Henry Mackay)
  8. Cäcilie (aus „Vier Lieder“, op. 27, Nr. 2; Text: Heinrich Hart)
Bildnachweis: Titelbild ©Julia Wesely, alle anderen Fotos ohne Angabe sind privat von UG.

Jonas Kaufmann verführt und lässt sich verführen – umjubelte Puccini-Gala in Bremen

Die Glocke – Das Bremer Konzerthaus, 6. November 2024

Die Klassikwelt feiert 2024 den Meister der vertonten Leidenschaft: Giacomo Puccini, der in diesem Jahr vor 100 Jahren starb. Kein Wunder also, dass Startenor Jonas Kaufmann zum Jubiläum eine musikalische Hommage an den genialen Komponisten in Form eines Duett-Albums herausgebracht hat. In „Puccini: Love Affairs“ besingt der Tenor zusammen mit sechs namhaften Sopranistinnen alle Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Mann und Frau. In seiner Herbsttournee „Viva Puccini!“ mit 10 Stationen im deutschsprachigen Raum und in Paris darf man sich auch live vom Gefühlsrausch umfangen lassen.

Startenor Jonas Kaufmann. Foto © Gregor Hohenberg / Sony Music

Am heutigen Abend gastiert der weltberühmte Tenor zusammen mit der italienischen Sopranistin Valeria Sepe im Bremer Konzerthaus „Die Glocke“, es ist die 9. Station auf der Puccini-Tournee, die ein wahrer Triumph ist, in allen Städten sind die Säle ausverkauft, so auch hier.

Jonas Kaufmann beginnt den Abend mit Auszügen aus „Tosca“. Die Rolle des idealistischen Malers Mario Cavaradossi, der mit seiner Geliebten Tosca, einer eifersüchtigen Gesangsdiva, in die Fänge des sadistischen Polzeichefs Scarpia gerät, gehört zu den absoluten Lieblingsrollen des Tenorissimo, die er in seiner langen Karriere mit Abstand am häufigsten verkörpert hat. In der Auftrittsarie „Recondita armonia“ lässt Kaufmann seine goldene Stimme warm strömen und zeigt, dass er die italienische Legato-Kultur bestens beherrscht. Wie ein Maler mit seiner Palette bringt er verschiedene Stimmfarben zum Einsatz. Auch die Höhen sind kraftvoll, wobei Kaufmann diese sogar sanft an- und abschwellen lassen kann – ein stimmtechnisches Meisterstück, das nicht viele Tenöre beherrschen.

Jonas Kaufmann und Valeria Sepe interpretieren ein Duett aus „Tosca“. Foto von Patric Leo.

Im nachfolgenden Liebesduett zwischen Mario und Tosca bietet Puccini eine große emotionale Bandbreite aus Koketterie, Verführung und Eifersucht, die der Spielfreude der Interpreten viel Raum lässt. Zwischen Tenor und Sopran spürt man in der Interaktion große kollegiale Vertrautheit, die im Laufe der Tournee gewachsen ist. Durch ihr intensives Zusammenspiel mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik wird die Szene lebendig und man kann ganz eintauchen in die Situation. Valeria Sepe gibt eine temperamentvolle Tosca, eine Diva, die ihren Mario spielend um den kleinen Finger wickelt.

Die Sopranistin hat eine kraftvolle Stimme, die mir stellenweise ein bisschen scharf ins Ohr dringt. Vergleichsweise klingt Maria Agresta (die ich auf dieser Tournee in Frankfurt gehört habe, sie hat Kaufmann bei 4 Terminen begleitet) weicher und lieblicher. Sepe versteht es bestens, ihre weiblichen Reize in ihrer Rollendarstellung auszuspielen. In ihrem lachsfarbenen Kleid sieht die junge Italienerin bildschön aus. Auch der 55-jährige Kaufmann gibt in festlichem Frack und mit seinen graumelierten Locken ebenfalls eine attraktive Erscheinung ab.

Die berühmte Arie „Vissi d’arte“ interpretiert Valeria Sepe mit einem feurigen Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit Gottes und ihres Schicksals. Mir persönlich fehlt in diesem Gebet ein bisschen die Innerlichkeit.

Foto von Patric Leo

Im Vorspiel vom 3. Akt von Tosca erweist sich die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder als niveauvoller Klangkörper. Dirigent Rieder begleitet Kaufmann seit vielen Jahren auf seinen Tourneen und die beiden sind ein eingespieltes Team. Im Instrumentalen zeigt sich die besondere atmosphärische Kraft von Puccinis Komposition: Durch das Glockengeläut fühlt man sich auf das Dach der Engelsburg in Rom versetzt, sieht die Sonne aufgehen und die melancholischen Klänge von Cello und Klarinette künden vom nahenden Tod für Mario und Tosca.

Ein erstes inniges Highlight gelingt dem Tenor in seiner intensiven Interpretation der Arie, „E lucevan le stelle“, in der Cavaradossi in sehnsuchtsvoller Erinnerung schwelgend Abschied vom Leben nehmen muss. Das Publikum belohnt Kaufmann mit einem begeisterten Applaus.

Foto von Patric Leo

Als nächstes taucht man ein in die Welt des Poeten Rodolfo und der Näherin Mimì aus „La Bohème“, bei deren Kennenlernen aus einem Kerzenlicht bald ein Feuer der Leidenschaft entbrennt. Hier trumpft Kaufmann im Schlusston des Liebesduetts „O soave fanciulla“ mit einem Spitzenton am Ende aus dem Off auf, bei dem man staunt, dass der Tenor sich trotz des fordernden Programms nicht zu schonen scheint.

Nach der Pause blühen und glühen beide Sänger voll auf im leidenschaftlichen Duett der Hochzeitsnacht aus „Madama Butterfly“. Die Sopranistin trägt nun ein schwarzes Kleid und hat sich die breiten Bänder ihrer rückseitigen Schleife über die Arme und Hände gehängt, die sie wie eine Geisha in einem traditionellen Kimono hält. Sie schlüpft auch gesanglich ganz in die Haut der unschuldigen Cio-Cio-San, die mit zarten Tönen in ihrem frisch vermählten Ehemann Pinkerton heißes Begehren auflodern lässt. Wenn sie die Stoffbänder schüchtern von ihren Armen streift und damit ein Entkleiden der Braut andeutet, reagiert ihr Tenor-Partner mimisch und vokal mit drängender Leidenschaft („vieni…vieni“). Das Duett schaukelt sich ekstatisch hoch bis zum Höhepunkt, in dem Puccini die Liebe als geradezu orgastisches Feuerwerk in Musik verwandelt hat. Die wunderbaren Stimmen von Kaufmann und Sepe erstrahlen mit voller Leuchtkraft und auch das Bremer Publikum ist von der Hitze der Gefühle entflammt und applaudiert begeistert.

Einen weiteren furiosen Höhepunkt bieten Tenor und Sopran im Duett „Tu, tu, amore? Tu?“ aus „Manon Lescaut“, in dem die Stimmung aufgeladen ist von Begehren und zorniger Eifersucht. Dieses Duett ist eine gesangliche Tour-de-Force, bei der Kaufmanns Stimme ein klein wenig ermüdet klingt, wenn er hier ständig „Vollgas“ geben muss.

In der ersten Zugabe lässt der Tenor in „Ch’ella mi creda“ (aus „La fanciulla del West“) seine Stimme wieder im weichen Nougatschmelz erklingen, der zu einem sanften Verführer passt, und schafft am Ende helle Glanzpunkte, bei denen er wieder ganz frisch klingt.

Herzerweichend und lyrisch zart singt Valeria Sepe das liebevolle Flehen von Liù „Signore, ascolta“ (aus „Turandot“), was von Kaufmann als Calaf eine ebenso zartfühlende Antwort im tröstlichen „Non piangere, Liù“ erfährt. Sodann begeistert Sepe mit einer schönen Interpretation von „O mio babbino caro“ (aus „Gianni Schicchi“).

Nach anhaltendem Jubel mit Standing Ovations, Bravo-Rufen und Fußgetrappel beschenkt der Tenor das Publikum mit der Parade-Arie „Nessun dorma“ (aus „Turandot“), ohne die eine Puccini-Gala nicht komplett wäre. Auch wenn der finale hohe Ton („Vincerò!“) zu Beginn nicht ganz anspringt und Kaufmann ein bisschen nachdrücken muss, um den Ton in kraftvolle Höhen zu bringen, verfehlt er nicht seine Wirkung – frenetischer Jubel brandet auf!

Foto von Patric Leo

Das Bremer Publikum ist derartig begeistert, dass sich Kaufmann sogar zu einer 6. Zugabe überreden lässt (was auf dieser Tournee nur ganz selten vorkam). Wenn er gelöst in den Zuschauerraum strahlt und mit einem spielerischen Gestus die weiße Fliege seines Fracks aufbindet, dann springt dieser besondere Kaufmann-Charme über, der seit Jahren die Herzen seiner weiblichen Fans höherschlagen lässt. „Non di scordar di me“ (von De Curtis) ist der zartschmelzende musikalische Abschiedsgruß des Tenorissimo, der alle Wünsche erfüllt, die man an einen Künstler haben kann.

Ja, es war wirklich ein Abend, den man nicht vergisst – ein Feuerwerk aus Gefühlen, wie es nur Puccini zu entzünden vermag, transportiert von zwei traumhaften Stimmen auf höchstem Niveau.

Konzerthaus „Die Glocke“ im Herzen von Bremen. Foto privat.

Die nächsten Auftritte von Jonas Kaufmann finden Sie im Kalender seiner Homepage.

Jonas Kaufmann. Foto © Gregor Hohenberg / Sony Music

Titelbild: © Patric Leo

Jonas Kaufmann und Maria Agresta lassen die Leidenschaft hell aufglühen in der Puccini-Gala in der Alten Oper Frankfurt

Alte Oper Frankfurt, 22. Oktober 2024: Jonas Kaufmann – Viva Puccini!

Das Klassik-Jahr 2024 steht ganz im Zeichen von Giacomo Puccini, der mit seinen leidenschaftlichen Kompositionen wie kein anderer im ausgehenden 19. Jahrhundert die neue Ära des italienischen „Verismo“ geprägt hat. In Puccinis Opern stehen nicht mehr Adelige im Zentrum der Geschichte, sondern die Menschen von nebenan: Studenten, Künstler, Grisetten. In ihren Sehnsüchten und Gefühlsstürmen aus Liebe und Eifersucht offenbart sich das „wahre Leben“, ungeschminkt und mit großer Intensität. Die betörende Sogwirkung von Puccinis Musik fasziniert auch 100 Jahre nach seinem Tod und seine drei berühmtesten Opern „La Bohème“ (1896), „Tosca“ (1900) und „Madama Butterfly“ (1904) gehören fest ins Repertoire eines jeden Opernhauses.

Jonas Kaufmann © Gregor Hohenberg / Sony Music

Kein Wunder also, dass Startenor Jonas Kaufmann zum Jubiläum eine musikalische Hommage an den genialen Komponisten in Form eines Duett-Albums herausgebracht hat. In „Puccini: Love Affairs“ besingt der Tenor zusammen mit sechs namhaften Sopranistinnen alle Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Mann und Frau. In seiner Herbsttournee mit 10 Stationen im deutschsprachigen Raum und in Paris darf man sich also live vom Gefühlsrausch emportragen lassen. Kaufmann wird hierbei abwechselnd von den italienischen Sopranistinnen Maria Agresta (die auf seiner CD als Madama Butterfly zu hören ist) und Valeria Sepe begleitet. Nachdem der Tenor das erste Konzert in Paris wegen seiner erneuten Corona-Infektion verschieben musste, ist der Startschuss am 13. Oktober in Wien fulminant geglückt und die Alte Oper Frankfurt ist nun die 4. Station auf der ambitionierten Tournee.

Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder in der Alten Oper Frankfurt © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Wie in allen Städten zuvor ist auch in Frankfurt der Konzertsaal ausverkauft und das Publikum erwartet voller Spannung, ob der preisgekrönte Sänger, Medienliebling und Frauenschwarm seinem Ruf als „begehrtester Tenor der Welt“ gerecht werden kann.

Jonas Kaufmann beginnt den Abend mit Auszügen aus „Tosca“. Die Rolle des idealistischen Malers Mario Cavaradossi, der mit seiner Geliebten Tosca, einer eifersüchtigen Gesangsdiva, in die Fänge des sadistischen Polzeichefs Scarpia gerät, gehört zu den absoluten Lieblingsrollen des Tenorissimo, die er in seiner langen Karriere mit Abstand am häufigsten verkörpert hat. Die Partie liegt ihm bestens in der Kehle und in seiner Auftrittsarie „Recondita armonia“ kann er seine Stimme in der goldenen Mittellage warm strömen und auch die Höhen kraftvoll anschwellen lassen.

Im nachfolgenden Liebesduett zwischen Mario und Tosca bietet Puccini eine große emotionale Palette aus Koketterie, Verführung und Eifersucht, die der Spielfreude der Interpreten viel Raum lässt. Kaufmann gibt den Maler vielleicht ein bisschen zu routiniert, wohingegen seine Partnerin Maria Agresta die Diva mit viel stimmlicher Präsenz darbietet und zudem in ihrem marineblauen Kleid auch optisch ein Hingucker ist. Kaufmann in festlichem Frack und mit seinen graumelierten Locken gibt ebenfalls eine attraktive Erscheinung ab.

Jonas Kaufmann und Maria Agresta © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Zwischen Tenor und Sopran spürt man in der Interaktion kollegiale Vertrautheit – die beiden haben bereits im Jahr 2017 bei Kaufmanns grandiosem Debüt als Otello am Royal Opera House in London gemeinsam auf der Bühne gestanden, Agresta war seinerzeit seine Desdemona.

Ein erstes Highlight gelingt Kaufmann in seiner intensiven Interpretation der Arie, „E lucevan le stelle“, in der Cavaradossi in sehnsuchtsvoller Erinnerung schwelgend Abschied vom Leben nehmen muss. Hier bringt er seine italienische Legatokultur beim Singen bestens zum Einsatz und besonders die leisen Töne berühren mit ihrer Innerlichkeit. Im Vorspiel sorgt die Solo-Klarinette für Melancholie und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder erweist sich als niveauvoller Klangkörper. Rieder begleitet Kaufmann seit vielen Jahren auf seinen Tourneen und die beiden sind ein eingespieltes Team.

Als nächstes taucht man ein in die Welt des Poeten Rodolfo und der Näherin Mimì aus „La Bohème“, bei deren Kennenlernen aus einem Kerzenlicht bald ein Feuer der Leidenschaft entbrennt. Hier trumpft Kaufmann im Schlusston des Liebesduetts „O soave fanciulla“ mit einem Spitzenton am Ende aus dem Off auf, bei dem man staunt, dass der Tenor sich trotz des fordernden Programms nicht zu schonen scheint. Das Publikum applaudiert freundlich, aber so richtig scheint der Funke noch nicht übergesprungen zu sein.

Maria Agresta © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Nach der Pause blüht Maria Agresta im leidenschaftlichen Duett der Hochzeitsnacht aus Madama Butterfly“ zwischen der unschuldigen Geisha Cio-Cio-San und dem rücksichtslosen Seemann Pinkerton förmlich auf. Hier überflügelt die Sopranistin mit ihrer vor Gefühl flirrenden Interpretation sogar ihren Partner. Kaufmann gelingt es jedoch, diese Figur, die er auf der Bühne nie dargestellt hat, weil sie ihm zu unsympathisch ist (wie der Tenor in Interviews bekennt), mit drängender Leidenschaft („vieni…vieni“) auszustatten, die schon die Zerstörung der zarten Flügel des Schmetterlings erahnen lässt. Jetzt wird auch das Publikum von der Hitze der Gefühle entflammt und zeigt sich begeistert.

Einen furiosen Höhepunkt bieten Kaufmann und Agresta im Duett „Tu, tu, amore? Tu?“ aus Manon Lescaut“, in dem die Stimmung aufgeladen ist von Begehren und zorniger Eifersucht, die Kaufmann kernig und leidenschaftlich darbietet, und von der Sopranistin mit selbstbewusster Weiblichkeit befeuert wird.

Begeisterung im Saal und auf der Bühne © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

In der ersten Zugabe lässt der Tenor in „Ch’ella mi creda“ (aus La fanciulla del West) seine Stimme wieder im weichen Nougatschmelz erklingen, der zu einem sanften Verführer passt.

© Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Herzerweichend und lyrisch zart singt Maria Agresta das liebevolle Flehen von Liù „Signore, ascolta“ (aus „Turandot“), was von Kaufmann als Calaf eine ebenso zartfühlende Antwort im tröstlichen „Non piangere, Liù“ erfährt.

© Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt
© Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Den Abend beschließt der Tenor mit der obligatorischen Parade-Arie „Nessun dorma“ (aus „Turandot“), die nun auch den letzten im Publikum vom Sitz reißt und mit einer Standing Ovation belohnt wird, auch wenn der finale hohe Ton („Vincerò!“) von der gesanglichen Tour de Force des Abends geschwächt klingt und wohl auch wegen des gerade überstandenen Infekts (zwischendurch musste der Tenor einige Male husten) nicht so kraftvoll und schillernd gelingt, wie man es eigentlich von Jonas Kaufmann gewohnt ist. Aber live ist live und am Ende strahlt der Tenor erleichtert und offensichtlich froh, dass die Musik von Puccini zielsicher ins Herz der Menschen getroffen und die Zuhörenden bewegt hat.

Jonas Kaufmann, Maria Agresta und Jochen Rieder freuen sich über Standing Ovations des Frankfurter Publikums. © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Ein Konzert mit einem Feuerwerk aus Gefühlen, wie es nur Puccini zu entzünden vermag, transportiert von zwei wunderbaren Stimmen auf höchstem Niveau.

Die nächsten 6 Stationen der Puccini-Tournee von Jonas Kaufmann finden Sie im Kalender seiner Homepage.

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