Gastbeitrag von Dorit Havel: Die Verwandlung des Ritters der Nacht

Beitrag zur Blogparade „It was dark and stormy night”

Dorit Havel

Die Verwandlung des Ritters der Nacht

Es war eine stürmische Nacht, als sich der dunkle Ritter und sein Pferd mit lautlosem Tritt aus dem Stadttor herausstahlen. Der peitschende Wind hatte die Fackeln der Torwächter ausgelöscht. Ein Blitz erhellte das Schwarz der Nacht, aber kein Auge sah den Reiter, der im Galopp aufs freie Feld hinausstob. Bald lagen die Mauern der Stadt weit hinter ihm. Der Ritter und sein Pferd waren Geschöpfe der Nacht, oft taten sie ihren Dienst, wenn die Welt schlief. Zielstrebig fanden sie den Weg – einen Weg, den der Ritter auf einer alten Karte gefunden und tief in sein Gedächtnis eingeschrieben hatte. Er war auf einer Reise, dessen Grund und Ziel nur er kannte.

Als die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken brachen, erreichte der Ritter den geheimnisvollen Ort, den er suchte. Ja, das musste er sein, der Eingang in die Welt von IHR. Mit Mühe stieg er vom Pferd, die nasse Rüstung quietschte.

„Gut gemacht, Nigra“, sagte er zu seinem Pferd und strich liebevoll über die Mähne. Der Regen hatte die Rußschmiere aus Mähne und Fell der Stute gewaschen und die grauen Strähnen traten hervor. Aber hier sah es niemand. Seit sieben Jahren war die Stute eine treue Gefährtin des Ritters, er hatte sie beim Eintritt in den Ritterorden selbst ausgesucht. Ihm gefiel, dass die Stute so ungewöhnlich groß und robust aussah und damit ausglich, was ihm an Körpergröße fehlte. Er wusste, wie er seine mächtige Rüstung anlegen musste, um seiner grazilen Gestalt den Anschein von Stärke zu geben. Auch seine Stute rüstete er, indem er ihr Grau des Alters unter Ruß verbarg. 

Nun ließ der Ritter Nigra und im feuchten Gras weiden und warf sein Schwert, das schwere Armzeug und Kettenhemd und zuletzt die Schenkelstücke seines Harnischs ab. Nur von seinem Helm und den Reitstiefeln aus weichem Leder wollte er sich nicht trennen. Die dunklen Unterkleider waren das Richtige für seine nächste Aufgabe.

„Jetzt muss ich meinen Mut beweisen“, sagte der Ritter zu Nigra „Warte hier auf mich.“ Sie schnaubte. Vorsichtig ging er auf den von Blattwerk umrankten Spalt in der Felswand zu. Er holte tief Luft und tastete sich ins Dunkle hinein. Der Tunnel wurde immer enger, bald musste der Ritter kriechen.

„Ob das wirklich der richtige Weg ist?“ Da sah er einen Lichtstrahl und robbte mit neuen Kräften ins Freie.

Zuerst war er von der Helligkeit geblendet, dann sah er klarer: Er befand sich in einem Talkessel, ringsum ragten schroffe Felswände in den Himmel. Er ging ein paar Schritte weiter und die Bäume gaben eine Lichtung mit einer üppigen Blumenwiese frei. Er lauschte auf die Bienen, die ihm einen Willkommengruß zu summen schienen. Und dann hörte er noch etwas Anderes, ein rätselhaftes Klingen.

Aus dem wogenden Farbenmeer löste sich eine leuchtende Frauengestalt, sie ging auf ihn zu. Schnell schloss er das Visier seines Helms. Jetzt konnte er ihr Gesicht erkennen, umspielt von silbern schimmerndem Haar. Sie hatte smaragdgrüne Augen, eingefasst von Falten. Sie lächelte ihn mädchenhaft an. Jetzt erkannte er auch die Quelle des Leuchtens und Klingens: Sie trug ein Gewand aus tausenden Silberplättchen, die das Licht auffingen und in Regenbogenfarben zurückwarfen. Mit jeder Bewegung sang das Gewand ein Lied aus glockenhaftem Klirren und Rasseln. Er hatte SIE gefunden, die Silberne Zauberin. Staunend sah er sie an.

„Wie lautet dein Name und was führt dich zu mir?“, fragte die Silberne Zauberin mit tiefer, melodischer Stimme.

„Ich heiße Feman und stehe als Ritter im Dienst des Stadtherrn“, antwortete er mit heller Stimme. „Aus den Geschichten meiner Großmutter weiß ich, dass du Wünsche erfüllen kannst. Ist das wahr?“

„Vielleicht. Darf ich dein Gesicht sehen?“

In seinem feingliedrigen Körper stand Feman befangen da, als wolle er am liebsten unsichtbar sein. Zögerlich nahm er seinen Helm ab. Die Silberne Zauberin betrachtete ihn und lächelte.

„Warum versteckst du so ein schönes Gesicht?“

„Weil ich aussehe wie ein Mädchen!“, stieß Feman hervor. „Kein Mann braucht diese himmelblauen Augen und eine Milchhaut, auf der kein Bart wachsen will!“

„Warum ist das ein Problem?“, fragte die Silberne Zauberin.

„Weil ich als Ritter ein richtiger Mann sein muss! Mein Großvater und Vater waren ruhmreiche Ritter, ich soll nun in ihre Fußstapfen treten. Ich stemme jeden Tag Gewichte, aber ich werde einfach nicht stärker“, erzählte Feman. „Zum Glück haben wir Friedenszeiten und ich musste mich noch nicht im Kampf bewähren. Ich habe die Nachtwache übernommen, jede Nacht umreite ich mit meiner Stute Nigra die Stadtmauer und gebe Meldung über auffällige Dinge. Auch im Tageslicht zeige ich mich nur in meiner Rüstung. Ich wünsche mir, dass du mich in einen starken Mann verwandelst!“

„Ich verstehe“, sagte die Silberne Zauberin und schwieg eine Weile. Dann holte sie etwas unter den Zweigen einer Weide hervor und reichte es ihm. Es war ein unscheinbarer Leinenbeutel, der mit einem Seil zugebunden war.

„Ich gebe dir diesen Beutel für deinen Weg in ein verändertes Leben. Darin ist alle, was du brauchst. Geh jetzt zurück, dann schau dir das darin Enthaltene an.“

Damit wandte sich die Silberne Zauberin zum Gehen und nach ein paar Schritten tauchte sie in das Blütenmeer ein und war verschwunden.

Feman betastete den geheimnisvollen Beutel. Was wohl darin war? Nein, noch nicht, er würde sich gedulden müssen. Er hängte sich den Beutel um die Schultern und machte sich auf den Rückweg.

Der Tunnel durch den Felsen erschien ihm noch enger. Als er auf der anderen Seite herauskroch, war sein Helm verlorengegangen und seine Kleidung zerrissen. Nigra begrüßte ihn freudig und schnupperte an seinem Hals.

Als Erstes öffnete Feman mit zitternden Händen den Beutel. Darin fand er helle Leinenkleidung, einen Umhang aus Wolle, einen leeren Trinkkrug, zwei große Schalen, einen Löffel, ein scharfes Messer, einen Feuerstein und ein Buch mit Bildern von Pflanzen, Beeren und Pilzen. „Essbar“, stand dabei. Nichts mit Zauberkraft?

„Das ist alles?“ rief Feman enttäuscht. Er sah sich alles ein zweites Mal genau an, tatsächlich, das waren ganz gewöhnliche Dinge. Missmutig wusch er sich im Bach und zog die neue Kleidung an. Aber was war mit Schwert und Rüstung passiert? Sie lagen noch am gleichen Ort, aber in der kurzen Zeit waren Ranken darüber gewachsen und je mehr Feman daran zerrte, desto fester verknoteten sich die Ranken.

„Bin ich auch dazu zu schwach?“, schrie er wütend. Schließlich gab er auf. Er ritt mit Nigra den Pfad zurück, auf dem er gekommen war. Aber der Wald gab ihn nicht frei.

„Verflucht, wo geht es hier heraus?“ Alles Suchen half nichts, alle Wege führten ihn nur noch tiefer in den Wald hinein. Als es dunkel wurde, machte er sich im Moos ein Nachtlager, wickelte sich in den Wollumhang ein und bettete seinen Kopf auf Nigras Hals.

 

Tag für Tag lernte Feman den Wald und seine reichen Gaben besser kennen. Er sammelte Beeren, Pilze, Knollen, Kräuter und allerlei essbare Pflanzen, die in seinem Buch vorkamen. Vieles kochte er zu schmackhaften Speisen, dabei leisteten ihm die Dinge in seinem Beutel gute Dienste. Er begann, sich im Wald wohlzufühlen, er hatte es nicht mehr eilig, in die Stadt zurückzukehren. Schließlich sah er immer noch wie ein Mädchen aus und hatte nun auch noch seine Rüstung verloren. Nigra mochte den ruhigen Trott, ihre Leibspeise war der saftige Klee.

Nur eines vermisste Feman aus seinem alten Leben: die Wunderwerke aus seiner liebsten Backstube. Die schönsten Stunden waren immer gewesen, wenn er am Ende seiner Nachtwache alleine auf der Stadtmauer gestanden und die Sonne begrüßt hatte. Dann war er durch die stillen Straßen gegangen und dem besonderen Duft gefolgt, der ihn zu dieser Backstube führte, der Besten der Stadt. In der Frühe waren der Bäckermeister und seine Gesellen in ihren mehlweißen Schürzen bereits emsig am Werk. Sie verwendeten allerlei fremdländische Gewürze und zauberten die erstaunlichsten Gaumengenüsse. Feman hatte jeden Morgen dort eingekauft.

„Wie wäre es wohl, einer von diesen Backkünstlern zu sein?“, fragte er sich oft. In seinen Tagen im Wald malte sich Feman aus, welche süßen und pikanten Backwerke er kreieren würde. So vergingen Tage und Wochen. Mit der Zeit war Femans helle Leinenkleidung bunt eingefärbt vom Rot der Beeren und Grün der Pflanzen.

An einem Tag sammelte Feman Pilze, als Nigra plötzlich etwas witterte und wieherte. Feman sah sich um … und sah zwischen den Zweigen etwas Helles. Er ging näher. Über die Felder hinweg sah er in der gleißenden Mittagssonne die alten Stadtmauern.

„Ich habe sie wiedergefunden, meine Heimatstadt“, rief er freudig. Dann zögerte er.

„Was für ein Leben soll ich dort führen? Wo ist der richtige Platz für mich“, fragte er Nigra.  

„Du kennst deinen richtigen Platz bereits“, sagte plötzlich eine sanfte Stimme. Er dreht sich um. Es war die Silberne Zauberin. Als sie auf ihn zuging, formten die unzähligen Metallsplitter auf ihrem Gewand eine glatte Spiegelfläche und plötzlich stand Feman seinem Spiegelbild gegenüber. Früher hatte er es immer vermieden, in einen Spiegel zu sehen, weil er sich für das schämte, was er sah. Aber jetzt ging er näher und musterte jeden Zug in seinem Gesicht und jeden Teil seines Körpers. Über seinen nachtblassen Teint hatten sich die Strahlen der Sonne wie goldener Puder gelegt. Aus den Haarstoppeln auf seinem Kopf waren lange Locken gewachsen. Seine Augen glitzerten wie ein See und um seinen weichen Mund spielte ein Lächeln.

„Wie anders sehe ich aus!“, war sein erster Gedanke. Und doch fühlte sich der Anblick nicht fremd an, es war, als würde er einen lange verschollenen Freund wiedererkennen.

„Ja, das bin wirklich ich“, murmelte er.   

„Siehst du nun, wie schön du bist? Und wie stolz dein Gang? Die Kraft der Verwandlung liegt in dir selbst“, sagte die Silberne Zauberin. „Die wahre Stärke eines Menschen liegt darin, sein wahres Wesen zu zeigen.“ Dann ging sie so leise, wie sie gekommen war.

 

Feman brauchte noch eine Nacht, um Abschied von seinem Leben im Wald zu nehmen und Mut für den nächsten Schritt zu fassen.

Am nächsten Morgen erreichten Feman und Nigra die Stadtmauer. Der Torwächter fragte ihn barsch: „Wer bist du? Siehst ja aus wie ein bunter Vogel!“

„Ich bin … einfach ich“, antwortet Feman mit fester Stimme. Der Wächter stutzte kurz, dann winkte er ihn müde durch.

„Auf zur Backstube“, sagte Feman zu Nigra, die neben ihm her trottete. „Ich werde dem Bäckermeister meinen Kompott aus Brombeeren, Thymian und Walnüssen zum Kosten geben und fragen, ob er mich als Lehrling aufnimmt!“

Feman machte sich mit leichten Schritten auf den Weg. 

Bildnachweis: Alle hier verwandten Fotos sind frei verwendbar nach Pixabay Licence.

 

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