Ich war kürzlich beim Schwäbischen Kunstsommer im Oberallgäu und habe dort eine Woche lang die Meisterklasse Lyrik besucht.

Ein einschneidendes Erlebnis in meinem jungen Lyikerinnen-Leben! Ich schreibe erst seit drei Jahren Gedichte (in geringer Anzahl), bin also noch Infantin bei ihren ersten Gehversuchen. Was ich in meiner Lyrikwoche leidvoll erkannt habe: Meine Dichterei taugt nichts! Hier ein Rückblick zur “Trauma”-Verarbeitung. Es fing alles ganz beschaulich an:
Am Sonntagmorgen weckt mich die Sonne in meinem Sommerhaus der Klosteranlage, ich flaniere nach einen üppigen Frühstück durch den Park zu meinem Kursraum – der für die nächsten 7 Tage meine kreative Dichterheimat werden soll – täglich von 9-12 Uhr und von 15 bis 18 Uhr – finde mich an einem prächtigen Mahagoni-Tisch unter Stuckdecke und umgeben von historischen Gemälden zusammen mit 10 anderen Lyrik-Schülern wieder – acht Frauen und zwei Männern, drei davon aus der schönen Schweiz.
Die Meisterin gehört zum Leipziger Lyrik-Zirkel (mit einigen Veröffentlichungen), ist eine Balletttänzerin und Performance-Künstlerin. Am Sonntagabend stellt sie im Künstlergespräch einige ihrer Gedichte vor. Übrigens finden diese Künstlergespräche jeden Mittag und Abend statt – hier stellen sich die Meister der jeweiligen Disziplinen (Chor, Tanz, Malerei, Photographie, Prosa u.a.) im Interview und mit Kostproben aus ihrem Werk vor – also pralles Programm für mich als Kunstsommerteilnehmerin.
Zurück zu meiner Klasse: Die Meisterin fordert jeden auf, sich mit einem eigenen und einem fremden, zeitgenössischen Gedicht vorzustellen. Da ich überhaupt keine Gegenwartslyrik kenne (ein fataler Fehler!), stelle ich einen Liedtext von Bodo Wartke vor und dann mein “Treppengetrappel” aus meinem Treppenzyklus. Die schonungslose Reaktion aus dem Plenum hierauf lautet: “Das ist antiquiert! Du klingst wie aus dem 19. Jahrhundert!”. Wohlan, so sei’s – dies zu schlucken gilt’s…
In der Gruppe bildet sich schnell eine spezielle Feedbackkultur heraus, dominiert von einigen Lyrik-Veteraninnen (die schon zum wiederholten Male in der Meisterklasse waren, allerdings mit anderen Meisterinnen, z.B. Nora Gomringer im Jahr 2012), die ganz anders ist, als ich es von der Uni kenne. Knallharte Kritik, teilweise nicht nur am Text, sondern auch an der Person. Ich vermisse hier die Wertschätzung.
Jeden Tag müssen wir ein neues Gedicht produzieren (mit Themenvorgabe, z.B. Natur/Landschaft, Alter/Armut, Beschwerde mit Reimen u.a.). Morgens bekomme ich den Auftrag, am Nachmittag und Abend kratzt meine Schreibfeder übers Papier, am nächsten Morgen eile ich vor Beginn der Klasse zum Kopierer, damit jeder ein Mitleseexemplar hat.
Dann heißt es Vorlesen (das kann ich auch viel schlechter, als die anderen, einige klingen wie CD-Profis – beeindruckend; die Schweizer Herren retten sich in Mundart). Dann beginnt die Rupf-Runde. Ich lasse immer viele Federn. Wenigstens werde ich nach meinem tiefen Einstieg zukünftig stets mit den Worten gelobt: “Das ist immerhin besser, als dein Treppengedicht vom Sonntag.”
Jeder kommt dran. Ich notiere fleißig alle stilistischen Tiefpunkte und Tabus (auch bei den Gedichten der anderen) – das ist schon sehr lehrreich. Wie in der Ballettprobe gilt: Nur durch Training und Schmerz kann man besser werden. Erst nach 15 Jahren hartem täglichen Lyriktraining (durch Lesen und Schreiben) darf man sich evtl. Meisterin nennen – so vermittelt es uns die Ballerina.
Übrigens geht es in der Schwestern-Disziplin Prosa bei (Krimi-) Meister Heinrich Steinfest ganz anders zu – ich habe guten Kontakt zu einigen der Schülerinnen. Der Meister ist Mentor und Motivator, sehr zugewandt, sitzt mit seiner Gruppe beim Essen am selben Tisch, macht mit ihnen morgens Tai-Chi und abends Woddy-Allen-Filmrunde (zu der ich netterweise auch eingeladen bin).

Die Prosa-Meisterschüler sind inspiriert, im Schreibfluss, alle Knoten lösen sich. Bei mir verknoten sich die Wörter jeden Tag mehr und mir vergeht die Lust an Lyrik.
Mein Treppengedicht zerschneide ich in Stücke und setze aus einigen Fragmenten eine Neufassung zusammen (bespreche sie mit der Meisterin in einer kurzen Einzelsitzung, sie ringt sich dazu durch, dass mir zumindest eine große Veränderung gelungen sei) :
Am Samstag schließlich der krönende Abschluss: Die Kunstsommernacht.


Wir dekorieren einen Baum mit eigenen Gedichten – diese Früchte unserer Arbeit dürfen von den Besuchern geerntet werden – das Ergebnis ist echt schön. Die Idee hierfür stammt von einer Lyrik-Schülerin.
Da die Gruppendynamik im Laufe der Woche Cliquenbildung und Feindschaften hervorgebracht hat, reist eine Teilnehmerin am Vorabend demonstrativ ab. Sonst sind alle ganz heiß darauf, ihre Gedichte vor Publikum vorzutragen – alle außer mir.


Ich bleibe Zuschauerin (hänge aber immerhin einige meiner Gedicht in den Baum) und genieße die vielseitigen Ausstellungen und Darbietungen der Kunstsommernacht. So geht eine intensive Woche zu ende.

Sobald ich wieder zuhause bin, bestelle ich mir ein Buch, um mal meine großen Lyrik-Lücken (die Alliteration ist immer noch meine beste Freundin) anzugehen – habe aber wenig Elan, selbst etwas zu schreiben. Meine Unbeschwertheit ist mir abhanden gekommen.
Nun versuche ich trotz allem, meine Eindrücke und Lyrik-Lehren in einem Gedicht auszudrücken:
Lyrikleiden
Oh Natur voller Anmut und Schönheit
warum hast du mir kein Lyrik-Gen geschenkt
Trugschluss wer denkt es hängt am Talent
nur Übung macht den Meister
Fehler finden Regeln achten
Stabreime stiften Schande
vorzugsweise blanke Verse
ohne Panther ohne Pathos
Reimen kann ich kreuzweise
und auch in Umarmung
Reime sind nicht mehr en vogue
postmodern lautet die Parole
Schiller Goethe Rilke imitiert
das ist ganz und gar antiquiert
hilft keine Bürgschaft alter Meister
Ballerina lässt taktlos tanzen
Zunge spitzen und Vokale beugen
strecken beugen strecken beugen
Wiederholungen sind willkommen
tauche Federkiel in Wörterwellengang
Sinnessegel aufgetakelt flattert
im allmächtigen Alliterationssturm
Kritik braust donnernd im Orkan
bis die Segelfetzen in lauer Flaute hängen
Pleonasmus Plage quält das Papier
Oxymoron schreit stumm
Wer belohnt nun meinen Fleiß?
oder ist das alles Hühner***?
Abgedroschen leere Hülsen sind tabu
Unendlichkeit weitet meine Zukunft
Herzschmerz steht unter Kitschverdacht
ihm wird der Garaus gemacht
Wörtertanz auf Zehen im Tutu
rundherum das ist nicht schwer
Reime sind für Kinderlieder
dem modernen Poeten zuwider
Wer bist du ideale Dichtung
suche reine Lyrik Lichtung
sollst Räume öffnen Türen eintreten
überraschen überrumpeln überwältigen
Konsenznicken ist zum Wegknicken
bloß kein Betroffenheitsgestammel
werfe marode Metaphern über Bord
Lyrik Funke zündet neuen Ort