STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE
Wo früher der Todesstreifen zwischen Prenzlauer Berg und Wedding verlief, liegt heute der Mauerpark. Besonders am Sonntag zieht der Mauerpark viele Menschen an, die auf der Wiese und im Birkenhain grillen, im Flohmarkt-Gewühl nach einem Schnäppchen suchen, sich von den Musikanten und Schaustellern unterhalten lassen und am Karaoke-Fahrrad im Amphitheater selbst zum Mikro greifen.
Und eine Mauer für den gestalterischen Ausdruck gibt es auch, allerdings nicht die „echte“, sondern die Trennmauer zum angrenzenden Stadion – hier kommen die Sprayer täglich mit ihren Dosen und einer Tapezierrolle, um erst mal eine Fläche für ihr neues Werk einfarbig zu grundieren. Die Mauerschaukeln sind nicht nur bei Kindern beliebt, sondern auch ein umworbenes Fotomotiv.
Mich aber lockt heute eine andere Attraktion an: Der interkulturelle Gemeinschaftsgarten Mauergarten hat über Facebook zum Beetbau-Workshop eingeladen.
PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN
Ich komme aus Richtung Voltastraße an der westlichen Seite in den Mauerpark. Ein Klangteppich von Menschengeschnatter und Musik dringt an mein Ohr und strenger Grill-Geruch in meine Nase. Wo soll hier bloß der Garten sein?
Zufällig streift mein Blick einen Bauzaun, am Horizont sehe ich Kräne und Rohbauten für eine neue Wohnsiedlung, aber dazwischen auf einer kahlen Fläche ragen ein paar Sonnenblumen in den Himmel.
Und stehen dort nicht auch Holzkästen auf dem Boden? Ich gehe näher. Tatsächlich, jetzt sehe ich in dem Areal zwischen den Bauzäunen eine kleine Kolonie von Menschen um ein Lagerfeuer, dort eine Konstruktion aus Holz, verkleidet mit gewellten Plexiglasscheiben – ja ein Gewächshaus, und sogar vereinzelt einige Hochbeete.
BLICKFANG
Ich umrunde den Bauzaun, stoße auf alte Eisenbahngleise und folge ihnen. Sie führen mich zu einer Öffnung, wo ein Zelt den Eingang markiert. Irgendwie komme ich mir hier vor wie im Wilden Westen. Oder im Wilden Osten?
Links in einer Ecke unter einem Baum sitzen einige Menschen mit buntem Geschirr um ein Lagerfeuer. Ich nähere mich der Gruppe und frage, ob ich hier richtig sei und ob hier heute Beete gebaut würden. Freundliches Nicken. Dann kommt ein Jüngling mit schwarzen Locken auf mich zu und bietet mir eine kleine Führung an.
Diego, so heißt der leidenschaftliche Gärtner, gehört zum festen Kern der Mauergartengemeinschaft. Warum hier alles so kahl aussieht, frage ich. Ihr Garten ist gerade im Wiederaufbau, erklärt er mir.
Schon 2 Mal mussten sie ihre Beete aus Europaletten von der Brachfläche, die an den Mauerpark angrenzt, auseinander nehmen und wieder zusammen setzen. Zuletzt wurde der Boden saniert (Schadstoffe von der früheren Eisenbahnstrecke der Berliner Nordbahn lagen dort), und dieser Bereich gehört nun zum Entwicklungsplan der Groth-Gruppe. Hier sollen Wohnkomplexe mit rund 600 Wohnungen entstehen. Dann sei es wohl aus mit der Abgeschiedenheit des Mauergartens.
Aber Diego ist voller Pionier-Optimismus. Sie sehen ihren 3. Neubeginn als Chance an. Jetzt ist ihr Garten offiziell anerkannt, sie bekommen auch Fördergelder von Grün Berlin, müssen dafür aber ihre Hochbeete nach gewissen Vorgaben bauen – statt Europaletten entstehen jetzt solide hölzerne Kästen. Stolz zeigt er mir die neuen Konstruktionen – sogar mit eingelassener Aufbewahrungskiste.
Das Herzstück ist das Gewächshaus, das aus 2 Räumen besteht. Im Multifunktionsraum steht ein Schreibtisch und Baupläne hängen darüber, auf den Regalen ringsum werden gerade kleine Pflänzchen angezogen und in einer Kiste strahlt die reiche Kürbisernte orangefarben um die Wette.
Diego erklärt mir ihren neuen Beet-Plan. Die Beete sollen sich in 5 Bereichen jeweils um einen Kraftkreis drehen. Es wird die Kreise “Kräuterspirale”, “Pflanzenkinder”, “Bienenrefugium”, “Schattenplatz” und “Kraftplatz” geben.
Im 2. Raum zeigt mir Diego die Tomatenstauden und ich staune nicht nur über die schönen Pflanzen, sondern auch über die tolle handwerkliche Konstruktion des Baus, zum Beispiel auch die Belüftung durch Kippfenster.
Diego lächelt erfreut und bescheiden – erst später verrät mir ein anderer Gärtner, dass Diego der Architekt und Baumeister des Gewächshauses ist. Diego ist seit 4 Jahren Berliner und hat scheinbar hier im Gemeinschaftsgarten seine Herzensheimat gefunden.
Ich schaue mich auf dem weiteren Gelände um. Bei den großen Sonnenblumen auf einem Hügel aus Mutterboden bauen gerade Mutter, Vater und 2 Kinder ein neues Beet, auch weitere Gärtner kommen zwischendurch mit Rat und Tat zur Hilfe.
Eine andere Gartenfreundin gießt Kräuter- und Gemüse-Stauden in den Beeten, die zwar ein wenig einsam, aber hoffnungsvoll auf der staubigen Fläche stehen.
Entlang des Zauns stehen überall blaue Regentonnen. Die Beeren brauchen noch ein wenig Sonne.
Zum Abschied spreche ich noch mit einem anderen engagierten Gärtner, der sich über meinen interessierten Besuch freut. Im Moment genießen sie ihre Abgeschiedenheit. Bald wird der Bauzaun fallen und ihr Garten wird Teil des Menschentreibens des Mauerparks werden.
Das Abenteuer der Gartenpioniere geht in eine weitere Runde.
Ich werde die Mauergärtner auf jeden Fall im Blick behalten und bin gespannt, wie sich ihr Garten in der nächsten Zeit entwickeln wird.
LITERARISCHE ERNTE
“Der Garten ist ein Lebenspfad,
der keinen Tod vor Augen hat.
Man pflegt und pflanzt und nährt den Boden
und manches muss man dann auch roden.
Der Garten, der durch Menschenhand
so manches Schöne verband –
befristet ist er, wie ein Menschenleben –
es sei denn, dass wir’s weitergeben.”
AM WEGESRAND
Nur wenige Schritte von der stillen Steppe des Mauergartens entfernt stoße ich auf die grüne Prärie des Mauerparks. Hier wimmelt es vor lautstarker Zivilisation.
Zwischen wilden Blumen sitzen hippe Berliner mit Bierflaschen und Hüten. Trommelmusik aus mehreren Richtungen, ein Kind schaukelt vor der Graffiti-Mauer, eine Frau singt schräg ins Karaoke-Mikro. Pralles Großstadtleben im Grünen. Hier ein audio-visualler Eindruck.
Wie anders hat es sich eben noch in der still wachsenden Gärtner-Kommune angefühlt – ich komme mir vor, als sei ich in eine andere Zeit und Welt katapultiert worden.