Willkommen in meinem Labor! Ich untersuche die Liebe und werde Lupe und Lackmus-Test durch Linguistik ersetzen (im Verhältnis 1:1).
Kommt mit auf meine Forschungsreise ins „Kreative Schreiben in der Ästhetischen Bildung“ (für dieses Studien-Modul ist Ende März mein Forschungsbericht fällig).
Ich gehe der Frage: „Warum suchen wir nach dem perfekten Partner?“ nach und werde mich hierzu in die Bereiche von Musik, Film, Literatur, Kunst, Wissenschaft und Alltagserfahrungen begeben.
Meine Eindrücke werde ich schreibend verarbeiten – wobei ich hierbei das volle Potential der Sprache ausschöpfen möchte, indem ich die Oulipotischen „contraintes“ auf meine Texte anwende.
Die Autoren der „Werkstatt für Potentielle Literatur“ OuLiPo (L‘ Ouvroir de Littérature Potentielle) haben sich formale oder inhaltliche Textbildungsregelungen (contraintes) auferlegt, um verborgene Potentiale der Sprache zu entdecken. Auch Literatur der Vergangenheit (Texte anderer Autoren) werden als ein Fundus und zum kombinationsfähiges Material für das eigene Schaffen angesehen.
Los geht’s mit meiner Liebesforschung. Im Alltag begegnet mir das Versprechen: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über PARSHIP“ – es prangt mir Vielerorts von Plakatwänden entgegen. Im Internet rufe ich für meine Forschung die Seite von Parship auf, aber sofern ich deren Kassen nicht klingeln lasse, komme ich über die Startseite nicht hinaus.
Schnell werde ich jedoch bei Finya fündig, die sich „kostenloses Flirten“ auf ihre Fahnen geschrieben haben. Dort bringt ein toller Text (siehe Absatz mit Zwischenüberschrift: „Finden Sie heute noch Singles, die zu Ihnen passen“) die Versprechungen und Methoden der Partnersuche nach perfekter Passform auf den Punkt. Diesen Wörter-Fundus werde ich nun in meinem Liebeslabor untersuchen.
Meine Laborergebnisse kann ich sogar mit meinen praktischen Erfahrungswerten abgleichen – vor etwa 3 Jahren hatte ich mich bei Finya mal angemeldet und für einige Wochen den Feldversuch durchgeführt.
Als oulipotische Schreibregel wende ich „La contrainte du prisonnier“ – Die Einschränkung des Gefangenen auf diesen Text an.
Als Idee steckt dahinter: Ein Gefangener hat in seiner Zelle wenig Schreibplatz. Ziel: Möglichst viele Buchstaben auf wenig Raum unterbringen. Deshalb sind nur Wörter ohne Auf- und Abstrich erlaubt. D.h. wenn ihr euch die Buchstaben in einer Lineatur vorstellt, dann stehen nur die Buchstaben zur Verfügung, die in der mittleren Spur verlaufen.
Erlaubt sind: a, c, e, i, m, n, o, r, s, u, v, w, x – auch ä,ü,ö (bin mal großzügig, da ich auch den i-Punkt zulasse, Puristen schließen in dieser contrainte auch die Umlaute aus, ebenso wie Buchstaben mit Akzenten). Ausgeschlossen sind: b, d, f, g, h, j, k, l, p, q, t, y
Ich finde, diese contrainte spiegelt die Filtermethoden der Partnersuche gut wider. Hier das Ergebnis (alles klein geschrieben):
Aus den Wörtern, die meinen Suchanforderungen entsprechen, forme ich ein Gedicht (von der Form angelehnt an den „Schneeball“ von Harry Mathews ), das ich „Liebe in Lineatur“ nenne.
Na, hat sich der Traum erfüllt? Ich bin selbst erstaunt, wie gut dieses Gedicht mit seinen Wiederholungen und seiner Eintönigkeit die Begrenztheit der Partnerwahl im engen Raster abbildet. Zufälligerweise wird das Gedicht eingerahmt von „sie zu“, was in meinen Ohren auch ein bisschen wie „Sieh zu“ klingt – dieser Appellcharakter an Singles, schnell einen Partner finden zu müssen, damit man nicht als Zivilisationsversager dasteht, ist in der Werbung für Partnerbörsen sehr präsent.
Wenn ich mir den Lückentext oben so ansehe, lachen mich die vielen Stilblüten am Wegesrand an, die alles andere als blassrosa sind. Die kann ich nicht ungepflückt stehen zu lassen! Besonders gut gezüchtet finde ich: „Singles aus Ihrer Region“ – dann bitte bio und freilaufend.
Tatsächlich habe ich – in meiner kurzen Finya-Zeit – diese Profilbildbewertung nach Attraktivität als reinste Fleischbeschau empfunden. Am ersten Tag stürzen sich alle Börsennutzer auf das „Frischfleisch“ und mein Attraktivitätsfaktor liegt bei 8, irgendwas. Jedoch nach kurzer Zeit entscheiden sich die „User“ im Konkurrenz-Voting für die hochattraktiven Neuzugänge (und die „verbrannte Erde“, wenn man auf einige Zuschriften nicht geantwortet hat, tut ihr Übriges). Ich kann dabei zusehen, wie meine Attraktivität von Tag zu Tag sinkt – ungefähr proportional mit der Hoffnung, hier einen potentiellen Partner kennenzulernen.
Sprachlich nehme ich mir jetzt den „Wörterblumenstrauß“ der Aussortierten vor. Beim Gedicht nennen die Oulipoten diese contrainte „poème fondus“ – Geschmolzene Gedichte, d.h. man pickt aus einen Ausgangstext einige Wörter heraus und schreibt daraus einen neuen Text (Gedicht).
Mein Schmalz, äh Schmelz-Ergebnis (was mich „anzupft“, weil bizarr oder typisch): „Finden Singles passen – Profilliste der User filtern – ausschließlich Singles aus Ihrer Region – Filterkriterium – bevorzugen – von Angesicht zu Angesicht – besonders attraktiv – Voting-Feature – Punktzahl zwischen 0 und 10 – hinsichtlich ihrer Attraktivität einzugrenzen – kostenlos – gegenseitig ein wenig beschnuppern – auskundschaften – ganz natürlich – einfach zu bewerkstelligen – Traumprinz – Traumfrau – aufregender Flirt – Beginn einer innigen Freundschaft – Nähe“
Hieraus bilde ich ein Gedicht, wobei ich den Methoden der online Partnersuche treu bleibe: Sortieren (alphabetisch), kurz und effizient (keine Füllwörter), entweder/oder, top /flop, 0/1 (Computersprache). Das Ergebnis ist dieses Gedicht, das ich Lamellen-Liebe taufe.
Zur Überprüfung des linguistischen Ergebnisses wende ich nun den praktischen Liebes-Lackmus-Test an. Mein Resultat (in eigenen Worten aus eigener Erfahrung):
filtern statt flirten
bewerben statt werben
hemmungslos statt höflich
Geschäft statt Gefühl
Liebesindikator: 0
Mein Fazit zu Finya möchte ich noch in Form eines Anagramms ausdrücken:
„kostenlos flirten“ wird zu „Stil roste – flenn k.o.“
Inspiriert hierzu hat mich das Anagramm von Raphael Enthoven: „carpe diem“ wird zu „ça déprime“.
Zur nicht-chemischen Aufhellung der Stimmung empfehle ich: „Let’s do it (Let’s fall in love)“ von Cole Porter (Songtext zum Nachlesen hier).
Durch diesen humorvollen musikalischen Liebes-Schwung fühle ich mich animiert zu einer neuen Textfassung. Wie wäre es mit einem Pastiche zu: „Alphabet“ von Inger Christensen (mit Fibonacci-Folge)?
Die Schreibregel lautet also: A – 1 Zeile, B – 2 Zeilen, C – 3 Zeilen, D – 5 Zeilen, E – 8 Zeilen, F – 13 Zeilen usw.
Lass es uns tun – lass uns uns verlieben
Ameisen tun es, Amerikaner tun es, alle tun es
Bienen tun es mit botanischen Blüten
Bestien tun es mit blasierten Bildschönen
Chauvinisten tun es mit Cha Cha und Can-Can
Clanchefs tun es mit Colts und treffen Cherubin
Cäsar tat es mit Cleopatra und Cupido sah zu
Dandys tun es mit Divas und Dekorum
Drückeberger tun es doch oh Donnerwetter
Draufgänger tun es mit Dynamik und dual
Diebe tun es mit der Dunkelheit
Dionysos tat es mit Delirium
Earls tun es in Edinburgh mit Etikette
Elben tun es in Eriador mit Esoterik
Eintagsfliegen tun es eilig und mit Endlichkeit
Entertainer tun es mit dem Erfolg
Egomanen tun es mit dem Ebenbild
Einsiedlern ist es egal
Entdecker tun es mit der Eroberung
Eva tat es mit Adam und Eden war am Ende
Filous tun es wohl frivol in Frankreich
Fehlen noch 12 Zeilen mit F. Freunde, helft mir Verse finden – ich führe das Gedicht mit Freuden fort!
Fische tun es im Fliegen
Fantasie tut es flitternd und flimmernd mit fantasmorgiastischem Finale
Filmstars tun es fashion-like in Film und Fernsehen
Flamingos tun es im Flachen im fuchsiaroten Federkleid
Fachmänner- und Frauen tun es im Fachjargon
Fakire tun es mit Feingefühl
Fibonacci tat es folgsam
(Vielen Dank liebe Mo!)
Fazit meiner ersten Labor-Einheit: Im Gegensatz zum Dating-Filter finde ich den Sprach-Filter durch die contraintes äußerst bereichernd. Durch das Bohren auf der Buchstabenbaustelle lassen sich wirklich einige versteckte Potentiale der Sprache ans Licht bringen. Das macht Spaß!