Folge 5: Prinzessinnengärten – Kartoffeln sind aus, Touristen sind in

STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE

Ich steige aus der U-Bahn die Stufen hoch zum Moritzplatz in Kreuzberg und freue mich schon auf ein lauschiges Gartenerlebnis zwischen Grünzeug und mit leckeren Kartoffel-Gerichten. In den Prinzessinnengärten soll es heute ein Kartoffelfest geben, über facebook haben sie dazu eingeladen.

Zu launenhafter Nachmittagssonne dröhnt mir Techno-Musik entgegen, Polizeiautos, Absperrungen und ja, eine Demo mit Fußläufern und Wagen. Irgend eine politische Botschaft steht auf ihren Bannern, aber hauptsächlich scheint mir die Gruppe für hemmungslosen Lärm zu demonstrieren.

Zum Glück sind es vom U-Bahn-Ausstieg nur wenige Schritte auf der Prinzenstraße und ich kann mich durch die pinke Türöffnung eines umwucherten Rapunzel-Zauns in die Grünoase retten.

PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN

Ja, auch hier brummt das Leben. Jede Menge Neugierige spazieren auf den Schotterwegen zwischen den hölzernen Hochbeeten, bunten Bäckerkisten, Metallwannen und Erdsäcken der mobilen Gartenanlage entlang.

Der urbane Gemeinschaftsgarten steht jedem offen. Ein breiter Weg führt in den Garten hinein. Am Wegesrand sitzt eine ältere Dame und bietet antiquarische Gartenbücher an.

Überall wächst Grünzeug, alles ordentlich beschriftet. Schilder weisen zum „Shop“ und Tafeln informieren über zahlreiche Veranstaltungen – auf Deutsch und auf Englisch. Als nächstes gibt es bestimmt noch einen Audio-Guide.

Im Zentrum der Anlage stehen hölzerne Unterstände, die Infostand und Shop zugleich sind. Hier kann man Saatgut und Jungpflanzen kaufen, aber auch T-Shirts mit „Prinzessinnengärten“-Aufdruck. Zwei junge Leute sitzen dort und erklären gerade einem Touristen-Ehepaar kurz etwas zur Historie des Gartens (er besteht seit 2009).

Gegenüber vom Shop steht ein weiterer Unterstand, hier gibt es ein Tauschregal für Bücher. Ein Flohmarkt findet regelmäßig hier statt und Führungen durch den Garten gibt es auch.

Aber wo sind hier bitte die Kartoffeln? Ich schaue mich um und schnuppere in die Luft, finde aber keine Spur. Für das Kartoffelfest bin ich wohl zu spät dran.

Ich gehe weiter und stoße auf den Biergarten. In Containern werden Getränke und kleine Speisen gereicht, es gibt einen Toilettenwagen und daneben einen Zigarettenautomaten, der in einen Zukunftsautomaten umfunktioniert wurde  – man kann hier ein “revolutionäres Wachsgießset” ziehen. Später stoße ich noch auf einen (defekten) Fotoautomaten.

Der Biergarten ist gut besucht, fast jeder Tisch besetzt. Hier kann man sicherlich nett sitzen, aber alleine macht mir das keinen Spaß. Also gehe ich weiter und schaue mir die Beete in den seitlichen Wegen genauer an.

Alles sieht schön bunt und alternativ aus. Gießkannen und Komposthaufen zeugen vom gärtnerischen Leben.

Das Gemüse wächst munter in den Hochbeeten. Nur Gärtner sehe ich keine. Auf den Täfelchen lese ich: „Do you want to harvest us? Please ask at the info-container“.

Also gehe ich zurück zum Shop im Zentrum. Dort lese ich wieder auf einer Tafel, welche Produkte zurzeit zum Verkauf stehen. Ich frage nach Mangold, aber bekomme die knappe Antwort, dass ich erst morgen bei der Führung etwas kaufen könne. Enttäuscht ziehe ich davon.

In einem anderen Teil des Gartens sehe ich die “Staudengärtnerei von Matthias” und eine verlassene Spielanlage für Kinder.

Die bunte Beschaulichkeit kann ich jedoch nicht richtig genießen, da die Demo-Parade immer noch im Schneckentempo am Zaun vorbei marschiert und die Bässe meine Magenwände zum flattern bringen.

BLICKFANG

Eine große Anziehungskraft hat die Laube, ein Holzgerüst mit zwei Etagen. Neben einer still hängenden Schaukel finde ich ein Schild, das in Bild und Schrift über den Bau der Laube informiert (Eigenproduktion von Freiwilligen).

Zusammen mit emsigen Besuchern stampfe ich die Holzstufen hinauf. Hier hat man einen schönen Panoramablick – der ★★★★★ von mir bekommt.

Auf der obersten Terrasse sitzt eine Gruppe junger Leute auf Plastikstühlen in ein Gespräch vertieft, eine Schar von Bierflaschen zu ihren Füßen. Das ist doch mal Berlin, denke ich. Dachterrassen waren gestern.

Ein Mann mit rötlichem Vollbart und einer Blockflöte erzählt von seiner musikalischen Reise. Er hat sich das Flötenspiel selbst beigebracht. Auf eine Hörprobe warte ich jedoch vergebens.

Ich stehe daneben und komme mir ein bisschen wie eine Soziologin vor, es fehlen nur noch Klemmbrett und Fragebogen. Auch hier finde ich keinen menschlichen Anschluss oder Gesprächspartner. Ich mache verstohlen ein Foto und steige wieder hinab.

So öffentlich und belebt wie sich mir die Gartenanlage darbietet – mit seiner Gastronomie und Vermarktung – scheint er mir gleichermaßen seelenlos und anonym. Die Beete kommen mir fast wie eine Kulisse vor, die nur dem Ambiente dient. Ich wäre gerne mit einer Gärtnerin oder einem Gärtner ins Gespräch gekommen – aber dafür hätte ich wohl eine Führung besuchen müssen.

Zur falschen Zeit am richtigen Ort?

LITERARISCHE ERNTE

„Doch wie der Garten mit dem Plan, wächst der Plan mit dem Garten.”

Berthold Brecht

AM WEGESRAND

Selbst die Mülltonnen sind originell gestaltet – ich lerne etwas über Lebensmittelverschwendung.