Folge 1: London – Julia küsst und Mr. Collins wird in den Garten verbannt

STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE

Ich bin für eine Woche in London und halte meine Augen offen für die bekannten und versteckten grünen Oasen. Schließlich ist England in der ganzen Welt berühmt für seine Gärten und London gilt als Keimzelle der Guerilla Gardening-Bewegung.

Come with me…

PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN

Die privaten Nachbarschaftsgärten

Ich habe am Nachmittag in meinem Hotel im Royal Borough of Kensington & Chelsea eingecheckt. Jetzt flaniere ich im Sonnenschein durch die gepflegten Straßen und bewundere die fürstlichen Fassaden. Es ist eine Gegend der Reichen, aber weil sich kaum einer mehr die Grundstückspreise und Mieten leisten kann, ist hier fast jedes Haus ein Hotel. Die Hotelzimmer haben erschwingliche Preise, mit winzigen Kämmerlein, in denen ein Kleiderhaken schon eine Luxusausstattung ist.

Jedes Haus hat ein Souterrain, die tiefliegenden Vorgärten sind mal liebevoll gestaltet, mal minimalistisch genutzt und ganz selten mal auch ein wenig vernachlässigt.

Das Gartenleben spielt sich in den „Garden Squares“ ab, die von allen vier Seiten von Reihenhäusern eingerahmt werden.

Städtebaulich setzte Covent Garden (1777) in Anlehnung an die Renaissance den Grundstein für diese Gartenplätze.

„Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Gestalt des Gartenplatzes vollendet. Das beste Beispiel ist der Bedford Square, der im Jahre 1783 fertig gestellt wurde. Man erkannte damals, dass der private aber zugleich gemeinschaftliche Garten nicht nur die Lebenswelt der Bürger verbesserte, sondern auch die Wirtschaft und die Gesellschaft der Stadt förderte.

Im 19. Jahrhundert wurde der Gartenplatz zu einem charakteristischen Element bei der Erbauung neuer Wohnbezirke. Zur selben Zeit entwickelte sich das Reihenhaus zum wichtigsten Beitrag Großbritanniens zur europäischen Stadtplanung.“

Auf meinem Spaziergang komme ich an einigen dieser Gärten vorbei, aber ich muss mich damit begnügen, durch den Zaun zu lugen. Hier schaue ich in den Nevern Square Garden.

Denn die Gärten sind exklusiv nur den Anwohnern vorbehalten. Schilder machen auf allerlei Regeln aufmerksam und es gibt bürokratische Anforderungen dafür, einen Schlüssel für den Garten zu bekommen.

Die Glücklichen, die sich im Innern tummeln, fühlen sich aber offensichtlich wohl in ihrem privaten Paradies – dem Gemeinschaftsgarten.

Dem Reiz des Verbotenen und des Geheimnisvollen eines solchen Gartens sind seinerzeit schon Julia Roberts und Hugh Grant in „Notting Hill“ erlegen – schaut es euch an – seufz!

Leider bin ich bei Tageslicht hier und weit und breit ist kein augenplinkernder Buchhändler in Sicht.

BLICKFANG

Kew Gardens

Am meinem zweiten Tag führt mich mein Weg in den Königlichen Botanischen Garten (Kew Gardens) im Südwesten von London. Nachdem ich 30 Minuten in der prallen Sonne in der Ticketschlange gebrutzelt habe – ich wusste gar nicht, dass es in England überhaupt einen richtigen Sommer gibt, aber heute ist der Himmel blau und es sind fast 30 Grad Celsius – zieht es mich zuerst in das viktorianische Gewächshaus, das imposant an einem künstlichen See liegt.

Im „Palm House“ (errichtet von 1841-1849) schlägt mir feucht-warme Luft entgegen und ich bewundere allerlei Palmen und Bananen – die früher übrigens auch „Paradiesfeigen“ genannt wurden.

Dann steige ich die gusseiserne Wendeltreppe für den Rundweg unter dem Dach hinauf – und jetzt verstehe ich, warum vor dem Besuch gewarnt wird, wenn man Herz-Kreislauf-Schwierigkeiten hat – mit jeder Stufe nimmt die Wärme zu, bis sie sich oben zu nebliger Hitze staut – eine intensive Erfahrung.

Als ich später wieder in den Sonnenschein trete, sauge ich dankbar den kühlen Luftzug ein.

Der Botanische Garten ist weitläufig und bietet mehr, als ich an einem Tag erkunden kann. Hier möchte ich euch meine Key-Kew-Moments vorstellen.

Bei einem Rundweg in den Baumwipfeln („Treetop Walkway“) rauscht das Blattwerk der altehrwürdigen Bäume um mich herum und wird übertönt von trappelnden Füßen der Schulkindern in Uniform und anderen Besuchern – es erinnert mich daran, dass der Mensch sich zu oft als Herrscher über die Natur aufschwingt.

Im außergewöhnlichen Kunstwerk „The Hive“ hat ein Mensch versucht, die Natur zu imitieren: Ein begehbares Gerüst aus Glas und Aluminium mit Sound- und Lichtinstallation rekonstruiert die geheimnisvollen Flugwege der Bienen, man soll sich wie in einem Bienenstock fühlen.

Beim Herangehen sieht die Konstruktion wie eine Simulation eines Tornados aus, der sein Zentrum verloren hat.

Ich stehe in der Mitte und sehe durch Glas den Boden mit dunklen Menschenschatten unter mir und den Himmel über mir.

Die Metallstäbe vermitteln ein rätselhaftes Chaos. Die Welt der Bienen scheint mir unergründlich und wunderbar.

Richtig naturverbunden wird mir am See zumute – hier sitze ich auf einer Bank im Schatten und beobachte die Entenfamilien mit ihrem putzigen Nachwuchs.

Im Kew Palace fühle ich mich in die Zeit von Jane Austen zurück versetzt – an der Tür steht eine zierliche Frau im historischen Kostüm und in den Innenräumen erklärt mir ein junger „Footman“, wie bequem seine Garderobe mit den langen Rockschößen und weiß bestrumpften Waden sei.

Meine Schwester Dorit auf Zeitreise

Hier lebten King George III (der sich sehr für Landwirtschaft interessierte und von manchen Zeitgenossen als „Farmer“ verlacht wurde) mit seiner Ehefrau Charlotte bis 1818 und ihren 15 (!) Kindern.

Faszinierend ist der Kräutergarten des Palasts. Hier lerne ich, dass Kräuter nicht nur zur Herstellung heilender Elixiere verwendet wurden, sondern auch in Zeiten der Pest und anderer Seuchen in die Kleidung eingenäht wurden, weil die Menschen meinten, manche Kräutergerüche hielten die Krankheiten fern.

In abendlicher Stimmung zurück beim Palm House entdecke ich am Ufer mein neues Lieblingsgewächs:

Die Mammutblatt-Pflanze (Gunnera manicata). Ich komme mir wie Däumelinchen in Andersens Märchen vor, die aus einer Blüte geboren wird und später auf einem Seerosenblatt auf Reisen geht – allerdings fühlen sich die Mammutblätter ziemlich stachelig für eine Behausung an.

Die Pflanze stammt ursprünglich aus Südamerika (Chile). Dort werden die kräftigen Blätter übrigens als Regenschirme verwendet. Kein Wunder, dass die Engländer sie auf ihre Insel importiert haben.

LITERARISCHE ERNTE

Was sagt eigentlich Jane Austen dazu?

Gärten spielen in den Romanen von Jane Austen eine wichtige Rolle. So macht während eines Spaziergangs im Grünen Mr. Darcy in „Pride and Prejudice“ Elisabeth seinen 2. Heiratsantrag, den sie nun endlich annimmt.

Aber ein Garten ist auch praktisch, wenn man seinen nervtötenden Ehemann aus dem Haus haben will. So vertraut Charlotte, die kürzlich den Pfarrer Mr. Collins geheiratet hat, ihrer Freundin Elisabeth an:

„I encourage him to be in his garden as often as possible. Then he has to walk to Rosings nearly every day. … I admit I encourage him in that also.”

AM WEGESRAND

Gartenliebe

Zum Ausklang hier noch ein Garten, mit einem Manifest für die Liebe (und gegen den Kapitalismus). Ich habe ihn beim Spazierengehen in einer Straßen in Kensington (bei Earls Court) entdeckt.

„LOVE MORE Love is wealth“

To be continued…