Duell ohne TV: Cannabis vs. Sonnenblumen

Kaum lasse ich meine Schützlinge ein paar Tage alleine, werden sie mit Füßen getreten.

Heute sehe ich das Schlachtfeld vor mir – ein Dutzend der kräftigen Sonnenblumen liegt am Boden, ihre Stiele sind gebrochen – gut die Hälfte der Familie ist zerstört. Ihre überlebenden Schwestern schwanken mit hängenden Blättern im Wind.

Zwei liegende Blumen richte ich vorsichtig auf – ihre Stiele sind noch intakt – und lehne sie an ihre Gefährtinnen an. Ich hoffen, sie erholen sich wieder.

Was hat sich hier am Wochenende abgespielt? Während am Sonntag Merkel und Schulz im TV-Duell in Berlin-Adlershof Plattitüden austauschen, geht es in direkter Nachbarschaft in Karlshorst hand- bzw. fußfest zur Sache – was für ein Duell hat sich hier abgespielt?

No fake fact ist: Mittwochnacht sehe ich einige CDU-Wahlhelfer mit Leitern und Karren an den Laternen beim S-Bahnhof Karlshorst ihre Plakate aufhängen. Ich überlege noch, ob ich sie wegen meiner Sonnenblumen ansprechen und um Vorsicht bitten soll. Leider tue ich es nicht. Auch auf dem Rondell tauschen sie jedenfalls das Plakat ihres Kandidaten aus.

Ob das Fußvolk der Partei hierbei schon den Schaden angerichtet hat, kann meine forensische Analyse nicht beantworten.

Aber die jetzt blinden Augen des Kandidaten geben mir einen Hinweis – die weißen Flecken im Plakat deuten auf Vandalismus hin.

Im Gras direkt unter dem Plakat entdecke ich zerknüllte rote Aufkleber, zwei davon noch ganz gut intakt: Um ein Cannabis-Blatt kreist ein Schriftzug mit der Parole „GET UP & STAND UP * FOR YOUR RIGHTS“.

Gleiche Rechte für Sonnenblumen für aufrechten Stand und natürliches Wachstum scheinen die Pro-Cannabis-Aktivisten jedenfalls nicht zu gewähren!

Im Duell zwischen den Cannabis-Jüngern und den CDU-Anhängern um die Plakathoheit sind die Planzen vor dem Aufsteller jedenfalls rücksichtslos zertrampelt worden.

Wo bleibt der Sinn für Schönheit und der Respekt vor der Natur?

Die Niedergestreckten gebe ich der Erde zurück.

Eine werdende Blüte habe ich mit nach Hause genommen und in ein Intensiv-Wasserbett gelegt. Vielleicht überlebt sie…

Die verbleibenden Sonnenblumen im Plakatschatten brauchen eine schützende Kraft. Eine von ihnen – nicht die größte, aber die älteste – hat schon eine Knospe hervorgebracht. Ich hoffe, ich werde sie noch erblühen sehen!

Geknickte Grüße aus dem sonnenlosen Sonnenblumenrefugium

Meine Schützlinge und ich – zu besseren Zeiten (29.08.2017)

Folge 4: Mauergarten – Pioniere vereinen Wilden Westen und Osten mit grünen Kraftkreisen

STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE

Wo früher der Todesstreifen zwischen Prenzlauer Berg und Wedding verlief, liegt heute der Mauerpark. Besonders am Sonntag zieht der Mauerpark viele Menschen an, die auf der Wiese und im Birkenhain grillen, im Flohmarkt-Gewühl nach einem Schnäppchen suchen, sich von den Musikanten und Schaustellern unterhalten lassen und am Karaoke-Fahrrad im Amphitheater selbst zum Mikro greifen.

Und eine Mauer für den gestalterischen Ausdruck gibt es auch, allerdings nicht die „echte“, sondern die Trennmauer zum angrenzenden Stadion – hier kommen die Sprayer täglich mit ihren Dosen und einer Tapezierrolle, um erst mal eine Fläche für ihr neues Werk einfarbig zu grundieren. Die Mauerschaukeln sind nicht nur bei Kindern beliebt, sondern auch ein umworbenes Fotomotiv.

Mich aber lockt heute eine andere Attraktion an: Der interkulturelle Gemeinschaftsgarten Mauergarten hat über Facebook zum Beetbau-Workshop eingeladen.

PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN

Ich komme aus Richtung Voltastraße an der westlichen Seite in den Mauerpark. Ein Klangteppich von Menschengeschnatter und Musik dringt an mein Ohr und strenger Grill-Geruch in meine Nase. Wo soll hier bloß der Garten sein?

Zufällig streift mein Blick einen Bauzaun, am Horizont sehe ich Kräne und Rohbauten für eine neue Wohnsiedlung, aber dazwischen auf einer kahlen Fläche ragen ein paar Sonnenblumen in den Himmel.

Und stehen dort nicht auch Holzkästen auf dem Boden? Ich gehe näher. Tatsächlich, jetzt sehe ich in dem Areal zwischen den Bauzäunen eine kleine Kolonie von Menschen um ein Lagerfeuer, dort eine Konstruktion aus Holz, verkleidet mit gewellten Plexiglasscheiben – ja ein Gewächshaus, und sogar vereinzelt einige Hochbeete.

BLICKFANG

Ich umrunde den Bauzaun, stoße auf alte Eisenbahngleise und folge ihnen. Sie führen mich zu einer Öffnung, wo ein Zelt den Eingang markiert. Irgendwie komme ich mir hier vor wie im Wilden Westen. Oder im Wilden Osten?

Links in einer Ecke unter einem Baum sitzen einige Menschen mit buntem Geschirr um ein Lagerfeuer. Ich nähere mich der Gruppe und frage, ob ich hier richtig sei und ob hier heute Beete gebaut würden. Freundliches Nicken. Dann kommt ein Jüngling mit schwarzen Locken auf mich zu und bietet mir eine kleine Führung an.

Diego, so heißt der leidenschaftliche Gärtner, gehört zum festen Kern der Mauergartengemeinschaft. Warum hier alles so kahl aussieht, frage ich. Ihr Garten ist gerade im Wiederaufbau, erklärt er mir.

Schon 2 Mal mussten sie ihre Beete aus Europaletten von der Brachfläche, die an den Mauerpark angrenzt, auseinander nehmen und wieder zusammen setzen. Zuletzt wurde der Boden saniert (Schadstoffe von der früheren Eisenbahnstrecke der Berliner Nordbahn lagen dort), und dieser Bereich gehört nun zum Entwicklungsplan der Groth-Gruppe. Hier sollen Wohnkomplexe mit rund 600 Wohnungen entstehen. Dann sei es wohl aus mit der Abgeschiedenheit des Mauergartens.

Aber Diego ist voller Pionier-Optimismus. Sie sehen ihren 3. Neubeginn als Chance an. Jetzt ist ihr Garten offiziell anerkannt, sie bekommen auch Fördergelder von Grün Berlin, müssen dafür aber ihre Hochbeete nach gewissen Vorgaben bauen – statt Europaletten entstehen jetzt solide hölzerne Kästen. Stolz zeigt er mir die neuen Konstruktionen – sogar mit eingelassener Aufbewahrungskiste.

Das Herzstück ist das Gewächshaus, das aus 2 Räumen besteht. Im Multifunktionsraum steht ein Schreibtisch und Baupläne hängen darüber, auf den Regalen ringsum werden gerade kleine Pflänzchen angezogen und in einer Kiste strahlt die reiche Kürbisernte orangefarben um die Wette.

Diego erklärt mir ihren neuen Beet-Plan. Die Beete sollen sich in 5 Bereichen jeweils um einen Kraftkreis drehen. Es wird die Kreise “Kräuterspirale”, “Pflanzenkinder”, “Bienenrefugium”, “Schattenplatz” und “Kraftplatz” geben.

Im 2. Raum zeigt mir Diego die Tomatenstauden und ich staune nicht nur über die schönen Pflanzen, sondern auch über die tolle handwerkliche Konstruktion des Baus, zum Beispiel auch die Belüftung durch Kippfenster.

Diego lächelt erfreut und bescheiden – erst später verrät mir ein anderer Gärtner, dass Diego der Architekt und Baumeister des Gewächshauses ist. Diego ist seit 4 Jahren Berliner und hat scheinbar hier im Gemeinschaftsgarten seine Herzensheimat gefunden.

Ich schaue mich auf dem weiteren Gelände um. Bei den großen Sonnenblumen auf einem Hügel aus Mutterboden bauen gerade Mutter, Vater und 2 Kinder ein neues Beet, auch weitere Gärtner kommen zwischendurch mit Rat und Tat zur Hilfe.

Eine andere Gartenfreundin gießt Kräuter- und Gemüse-Stauden in den Beeten, die zwar ein wenig einsam, aber hoffnungsvoll auf der staubigen Fläche stehen.

Entlang des Zauns stehen überall blaue Regentonnen. Die Beeren brauchen noch ein wenig Sonne.

Zum Abschied spreche ich noch mit einem anderen engagierten Gärtner, der sich über meinen interessierten Besuch freut. Im Moment genießen sie ihre Abgeschiedenheit. Bald wird der Bauzaun fallen und ihr Garten wird Teil des Menschentreibens des Mauerparks werden.

Das Abenteuer der Gartenpioniere geht in eine weitere Runde.

Ich werde die Mauergärtner auf jeden Fall im Blick behalten und bin gespannt, wie sich ihr Garten in der nächsten Zeit entwickeln wird.

LITERARISCHE ERNTE

“Der Garten ist ein Lebenspfad,
der keinen Tod vor Augen hat.
Man pflegt und pflanzt und nährt den Boden
und manches muss man dann auch roden.
Der Garten, der durch Menschenhand
so manches Schöne verband –
befristet ist er, wie ein Menschenleben –
es sei denn, dass wir’s weitergeben.”

Gisela Koch

AM WEGESRAND

Nur wenige Schritte von der stillen Steppe des Mauergartens entfernt stoße ich auf die grüne Prärie des Mauerparks. Hier wimmelt es vor lautstarker Zivilisation.

Zwischen wilden Blumen sitzen hippe Berliner mit Bierflaschen und Hüten. Trommelmusik aus mehreren Richtungen, ein Kind schaukelt vor der Graffiti-Mauer, eine Frau singt schräg ins Karaoke-Mikro. Pralles Großstadtleben im Grünen. Hier ein audio-visualler Eindruck.

Wie anders hat es sich eben noch in der still wachsenden Gärtner-Kommune angefühlt – ich komme mir vor, als sei ich in eine andere Zeit und Welt katapultiert worden.

Folge 0.1: Sonnensprösslinge und eine geheimnisvolle Einladung

Ich habe freudige Nachrichten für euch: Es haben sich tatsächlich einige zarte grüne Köpfchen aus der Erde geschoben. Zuerst konnte ich es am Samstagabend im Dämmerlicht nicht glauben – „Das ist bestimmt wildes Kraut“, habe ich gedacht.

Aber am Sonntag gehe ich wieder zu meinem Rondell und tatsächlich – zwischen den Pferdeäpfeln recken sich einige (mit dem Zählen tue ich mich schwer, aber es sind 5-8) Sprösslinge mit grün-rötlichem Stiel und einem Doppelblatt hervor – sie sind die Einzigen ihrer Art auf dem Terrain, können es meine Sonnenblumen sein?

Und noch etwas fällt mir in den Blick: Ein Zettel liegt am Rand des Rondells. Darauf steht: „Join uns for a bite – Fra F SL“. Eine Einladung zum Essen?

Hat bestimmt jemand von den Bahnhofgängern hier verloren. Ich mache aus einem Impuls heraus ein Fotos davon, dann bricht plötzlich ein Wolkenbruch herunter und ich rette mich unter das Glasdach der Fahrradständer. Ich vertreibe mir die Wartezeit mit dem Ansehen meiner Fotos.

Auf dem Zettel entdecke ich unter der Schrift noch eine Zeichnung von einem Haus mit Kreuzmarkierung (das Haus gegenüber ist doch noch im Bau oder wohnt da schon jemand?) und einer Blume, die gerade begossen wird. Hat mich jemand auf meinen Gieß-Gängen an 3 Abenden der letzten Woche gesehen? Ist die Nachricht vielleicht an mich gerichtet?

Als der Regenguss vorbei ist, gehe ich den Zettel holen (vielleicht steht noch etwas auf der Rückseite) – aber die Schrift ist verlaufen und kaum noch zu lesen.

Ein rätselhafter und ein bisschen zauberhafter Fund!

Wieder zuhause schaue ich im Internet nach Bildern von Sonnenblumensprösslingen. Sieht doch genauso aus, oder? Was sagt ihr dazu?

Motiviert von diesem Wunder der Natur beschließe ich, meinen Balkon in eine kleine Aufzuchtstation zu verwandeln und meine restlichen Sonnenblumensamen ins Leben zu schicken.

In meinem Keller habe ich Blumenkästen meiner Vormieterin entdeckt, die zwar nach Kellerschimmel riechen, aber nach einem Schaumbad in meiner Dusche wieder frisch für ihren Einsatz sind.

Hier also die „Nachzügler“ meiner kleinen Sonnenblumenfamilie – wenn sie groß genug sind, werde ich sie zu ihren Geschwistern auf das Rondell bringen und miteinander bekannt machen.

Am heutigen Montagmorgen wird die Aktivistin in mir wach und ich bastele ein kleines Transparent und stecke es zu meinen Schützlingen in die Erde. Ich hoffe, es sorgt dafür, dass niemand auf ihnen herum trampelt.

Und die Träumerin in mir hofft, dass vielleicht ein geheimnisvoller Dialog mit anderen Sonnenblumenliebhabern entsteht…