Münchhausen feiert seinen 300. Geburtstag und mit ihm die Erfolgsgeschichte der Lüge

Der Ritt auf der Kanonenkugel hat Münchhausen weltberühmt gemacht. Nicht nur seine Zeitgenossen staunen über diesen wagemutigen Soldaten, der die Gesetze der Natur überlistet und auf einer Kanonenkugel über das Schlachtfeld in Richtung feindliche Festung fliegt. Auf halber Strecke bekommt er Zweifel und springt kurzerhand wie ein Voltigierreiter auf die entgegenkommende Kanonenkugel des Feindes über, um wohlbehalten wieder im eigenen Lager zu landen. Kann das wahr sein?

Die haarsträubenden Erlebnisse von Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720-1797) als Soldat im Krieg gegen das Osmanische Reich wurden von verschiedenen Autoren ab 1761 niederschrieben. In Deutschland erschienen die Lügengeschichten des Münchhausen im Jahr 1785.

Seinem windigen Abenteuer auf der Kanonenkugel huldigen unzählige Zeichnungen und Verfilmungen (z.B. mit Hans Albers, D 1943). Niemanden stört es, dass die Geschichte komplett erfunden und erlogen ist. Die Lüge ist so herrlich unterhaltsam und befreit uns aus dem Alltagsgrau, dass wir sie gerne glauben. Und dem Lügner selbst vergeben wir allzu gerne seine Täuschung.

Don Quixote belügt sich selbst und wird so zum Ritter

Kein Wunder, dass Lügner sich zu Hauf in Büchern wiederfinden. Don Quixote, aus der Feder von Miguel des Cervantes (1605 veröffentlicht), könnte als großer Bruder vom Lügenbaron durchgehen. Auch dieser „Ritter von der traurigen Gestalt“ erfindet sich seine eigene Welt, in der er selbst der Held ist. Er ist süchtig nach Ritterromanen und bildet sich bald ein, selbst ein Ritter zu sein und zieht mit seinem gutmütigen Knappen Sancho Panza in die Welt aus, um Abenteuer zu suchen. Auf diesem Ritt kämpft Don Quixote für die Ehre edler Damen, die in Wirklichkeit Prostituierte sind, und gegen Riesen, die eigentlich Windmühlen sind. Die Welt muss sich der Wahrheit von Don Quixote anpassen – aus Wunschfantasie wird Realität. So verschwimmen die Grenzen zwischen Imagination, Selbsttäuschung und Lüge.

Die Erfolgsgeschichte der Lüge im Märchen

„Lügen haben kurze Beine!”, heißt es im Volksmund. Märchen beweisen das Gegenteil! Dort stecken die Lügenbeine in Stiefeln und bringen den Märchenhelden ganz nach oben. So in „Der gestiefelten Kater“. Dieser gut gekleidete Kater ist ein wahres Marketinggenie, von dem PR-Manager des 21. Jahrhunderts noch lernen können. Im Handumdrehen bzw. Zungeumdrehen schafft der pelzige Stiefelträger es, seinen Herrn vom armen Schlucker zum Großgrundbesitzer, Schlossherrn und Prinzgemahl zu erheben.

Zuerst bringt der Kater dem König Rebhühner als Geschenk seines Herrn, den er als “Graf” betitelt, obwohl dieser ein armer Müller ist. Zum Dank sendet der König dem falschen Grafen säckeweise Gold. Dann lässt der Miezemeister der Illusion den Müller nackt in einem See baden und versteckt dessen armselige Kleider. Als der König in seiner Kutsche vorbei gefahren kommt, erzählt der Kater ihm eine Räuberpistole und der König glaubt alles. Er kleidet den ausgeraubten Grafen in prächtige Gewänder und lässt ihn in sein Luxusgefährt einsteigen, wo auch die Prinzessin sitzt, die er alsbald heiraten wird. Zuletzt überlistet der Kater einen Zauberer und lässt den Müller in das ergaunerte Schloss einziehen. So wird der arme Müller schließlich König. Und alles dank Lüge und Täuschung – der PR-Kater würde es allerdings “List” und „Imagepflege” nennen.

Auch in „Das tapfere Schneiderlein“ werden unehrliches Verhalten und Angeberei belohnt. Der Schneider erschlägt sieben Fliegen mit einem handelsüblichen Tuchlappen. Diese Alltagstat bauscht er zur Heldentat auf, indem er sich einen Gürtel anlegt, den er mit der Aufschrift “Sieben auf einen Streich” bestickt. Diese Übertreibung im Dienste der Selbstvermarktung wird fortan sein Wahlspruch. Im Verlauf der Geschichte erliegt so mancher Gegner dieser vorgetäuschten Heldentat und prüft sie nicht auf ihren Wahrheitsgehalt.

Pinocchios lange Nase macht die Lüge sichtbar

In der italienischen Kindererzählung „Pinocchio“ (1883 von Carlo Collodi) ist der Bube aus Holz (dessen Name „Dummköpfchen“ bedeutet) zunächst ein sorgloser Schulschwänzer und Faulenzer. Immer wenn er lügt, wächst seine Nase. So kann er seine Ausreden nicht länger verbergen und muss sich schämen. Diese Sichtbarmachung der Lüge hat eine erzieherische Wirkung auf den Jungen, der sich im Laufe der Geschichte durch viele Prüfungen von einer Marionette in einen Menschen aus Fleisch und Blut verwandelt.

Warum wir auf die Lüge nicht verzichten können

Was passiert, wenn wir nicht mehr lügen dürften, muss Jim Carrey im Film „Der Dummschwätzer“ (Originaltitel: „Liar Liar“, USA 1997) leidvoll erleben. Von seinem enttäuschten Sohn dazu verflucht, 24 Stunden lang nicht lügen zu dürfen, stolpert Carrey von einem Fettnäpfchen ins nächste: Als Anwalt verliert er durch die erzwungene Ehrlichkeit einen Prozess und landet wegen Beleidigung des Richters selbst im Gefängnis. Auch im sozialen Umgang stößt er mit schonungsloser Ehrlichkeit seine Mitmenschen vor den Kopf – er nennt sie fett und hässlich – und muss sich unfreiwillig zu jeder Peinlichkeit bekennen (ja, er war der Furzer im Aufzug) und kann sich auf keine Ausrede mehr berufen, um lästige Verpflichtungen abzuschütteln.

Die ungeschönte Wahrheit quillt über seine Lippen wie ein Gift und selbst das größte Grimassieren kann ihm den Mund nicht verschließen. Die Qualen des Mannes zeigen uns: Die Lüge hat gute Seiten, denn sie ist eine Maske der Höflichkeit, die den Menschen einen freundlichen Umgang miteinander erlaubt. Die Lüge ist auch ein Schutzschild, das uns vor Scham und Strafe schützt.

Aber Läuterung muss sein, also lernt der notorische Lügner während seines Wahrheitsfluchs auch, worauf es im Leben ankommt, nämlich ehrliche Liebe und Fürsorge für Frau und Sohn.

Der Film führt uns vor Augen, wie grotesk und schwer erträglich das soziale Miteinander wäre, wenn wir immer ehrlich sein müssten. Die Lüge ist sozial akzeptiert und für den gesellschaftlichen Frieden erforderlich – wenn sie als Form von Höflichkeit, Diskretion und Diplomatie daher kommt.

Lügen erfüllen Sehnsüchte

Was aber fasziniert uns an Lügengeschichten wie die von Baron Münchhausen so sehr? Warum möchten die Menschen an dreiste Erfindungen glauben und lassen sich sehenden Auges einen Bären aufbinden? Die wirklich gute Lügengeschichte lebt davon, dass sie die Normalität aushebelt und die Illusion wie einen schönen Schleier über die öde Alltagswelt legt. Die Lüge als fantastisches Trugbild erfüllt die menschliche Sehnsucht nach Staunen und Wundern.

Froschputtel oder Aschenprinz – Mein Beitrag zum Poetry-Slam-Wettbewerb

Das StudierendenWERK Berlin hat den Wettbewerb “Mix it! Spoken Word & Slam” ausgeschrieben und ich habe die Herausforderungs angenommen. Die Slam Poeten präsentieren ihre Texte wegen Corona nicht in einer Live-Bühnenshow (die für den 23. April angesetzt war), sondern Online. Ein Publikum samt Abstimmung gibt es trotzdem und der oder die Sieger*in zieht ins Finale ein. Ihr dürft mir Hals-und-Reim-Bruch wünschen.

Hier könnt ihr euch das Video mit allen 8 Texten der Slam Poeten anschauen:

Wenn ihr nur meinen Beitrag ansehen möchtet, könnt ihr das auch auf meinem youtube-Kanal tun:

ABSTIMMEN (man kann 2 Stimmen für 2 Favorit*innen vergeben – ich hoffe, eine davon schenkt ihr mir, wenn euch mein Text gefallen hat) könnt ihr H I E R.

ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

Irgendwann im März habe ich mir zu mitternächtlicher Stunde Gedanken zu einem möglichen Text gemacht und bin schnell auf eines meiner Lieblingsthemen gekommen: das Märchen. Was passt dazu? Die ewige Suche nach dem Traumprinzen. Aus eigener Online-Dating-Erfahrung kann ich so einigen Honig saugen. Also habe ich in einem Brainstorming (Sprich-) Wörter rund um diese Themen in meinem Inkubations-Journal gesammelt und dort einige Wochen reifen lassen.

Als der Abgabetermin näher rückte, habe ich die Textfragmente dann in ein Dokument eingetippt und einige Abende lang daran gewerkelt. Zunächst eine Struktur mit Strophen und Refrain (der sich 3 Mal wiederholt – wie es sich im Märchen gehört). Im Feinschliff habe ich mir den Text selbst vorgelesen und mit dem Diktiergerät zur Selbstkontrolle aufgenommen und an den Reimen gefeilt.

Schließlich war mein Text fertig. Voilà:

Froschputtel oder Aschenprinz

Bildschirm, Bildschirm in der Hand:

Wer ist der Schönste im ganzen Land?

Tinder hin und Tinder her

alles was ich begehr’

die Guten nach Rechts

die Schlechten nach Links

ob Froschputtel oder Aschenprinz

du bist mein Traumtyp stimmt’s?

Mit den Fingerchen tipp tipp tipp

mit dem Köpfchen nick nick nick

mal macht es BAM

mal heißt es SPAM

viele Kandidaten möglichst schnell

rundherum so geht das Dating Karussell

 

Ich bin nicht wählerisch und schon gar nicht grimmig

will nur in Frau Holles Wolken schweben

meine Träume ausschütteln und Schleier weben

für Mr. Perfect lasse ich mein Haar herunter und reiche ihm die Hand

und folge den Brotkrumen bis zu seinem Schloss aus Sand

 

BLING BLING – ein Match – und digitale Herzen schlagen höher

Nachricht von Strahlemann76:

„Knusper knusper süßes Mäuschen

bin bei deinem Foto ganz aus dem Häuschen“

In seinem Profil ist er nicht allzu bescheiden

kann mich an allerlei Informationen weiden:

„Bin ein toller Mann mit ganz viel drin und dran

völlig behaart wie König Drosselbart

nur ungepaart und sehr apart

im Café treffen wir uns zum Start

dann gerne schnickel-schnackel oder so was ist der Art“

 

Ach, das ist mir viel zu stoppelig und womöglich hoppelig

The search must go on!

 

Bildschirm, Bildschirm in der Hand:

Wer ist der Schönste im ganzen Land?

Tinder hin und Tinder her

alles was ich begehr’

die Guten nach Rechts

die Schlechten nach Links

ob Froschputtel oder Aschenprinz

du bist mein Traumtyp stimmt’s?

Mit den Fingerchen tipp tipp tipp

mit dem Köpfchen nick nick nick

mal macht es BAM

mal heißt es SPAM

viele Kandidaten möglichst schnell

rundherum so geht das Dating Karussell

 

Ich bin nicht wählerisch und schon gar nicht grimmig

ob Banker oder Denker

Bürohengst oder Nachtgespenst

Autofreak oder Fahrraddieb

Traumtänzer oder Schulschwänzer

will frei wählen ohne rasten und rosten

im Abo vom Apfel der Versuchung kosten

 

BLING BLING – ein Match – und digitale Herzen schlagen höher

Nachricht von Do-it-your-self-Nick:

„Hi Prinzessin, wo drückt dir der Schuh

lass uns verschwinden im Nu

hinter den sieben Bergen

in Federbetten statt in gläsernen Särgen

ich komme hoch zu Ross und mit Kondom

befreie dich vom Schneewittchen-Syndrom“

 

Ach, das ist mir viel zu viel zu offensiv und womöglich invasiv

The search must go on!

 

Bildschirm, Bildschirm in der Hand:

Wer ist der Schönste im ganzen Land?

Tinder hin und Tinder her

alles was ich begehr’

die Guten nach Rechts

die Schlechten nach Links

ob Froschputtel oder Aschenprinz

du bist mein Traumtyp stimmt’s?

Mit den Fingerchen tipp tipp tipp

mit dem Köpfchen nick nick nick

mal macht es BAM

mal heißt es SPAM

viele Kandidaten möglichst schnell

rundherum so geht das Dating Karussell

 

Ich bin nicht wählerisch und schon gar nicht grimmig

will Goldmarie heißen und das Pech vergessen

will mit dem bösen Wolf Kreide essen

mich mit Siebenmeilenstiefeln im Wettlauf messen

und wenn sich Dornen in Rosen verwandeln

kann ich mit Bock oder Gärtner anbandeln

 

BLING BLING – ein Match – und digitale Herzen schlagen höher

Nachricht von André Ass:

„Hi Kuschelmaus, traust du dich zu mir hinaus?

Ich bin ein toller Hecht, frag nur Meister Specht

Sollst kein armes Schneiderlein kriegen

kann Finanzriesen besiegen

Steine auspressen und Sterntaler aufwiegen

schenke mir deinen Kuss – das ist leider ein Muss

dann werde ich fröhlich unter den Fröschen dein König“

 

Ach, das ist mir viel zu viel zu historisch und allzu metaphorisch

The search must go on!

 

Mit den Fingerchen tipp tipp tipp

mit dem Köpfchen nick nick nick

mal macht es BAM

mal heißt es SPAM

viele Kandidaten möglichst schnell

rundherum so geht das Dating Karussell

 

BLING BLING – sieben auf einen Streich

ein Hallo von Mr. Lück

ein Ciao von Hans-im-Unglück

ein Hi von StatusX und liebe Grüße von Perhaps

Taufrisch (51) sendet sieben Bilder

Partylöwe (33) mag es offensichtlich wilder

Do-it-your-self-Nick hat Datenstau

und André Ass sucht keine Frau

Alles gibt es auf dem Single-Markt der

Online-Prinzen und der Tinder-Troubadoure:

tätowiert, manikürt, kultiviert, rasiert

manieriert, maskiert, blasiert, triebregiert

epiliert, motiviert, motorisiert, aphrodisiert

mal reserviert, mal erotisiert und selten gut frisiert

Ich bin nicht wählerisch und schon gar nicht grimmig

bin die Prinzessin, die jede Erbse im Rücken spürt

schlafe auf dutzend Matratzen so wie es mir gebührt

aber ist dein Apfel der Versuchung giftig

ist mir jede Ausrede recht und triftig

hilft auch kein Tischlein-Deck-Dich-Zauber

werden aus Topf und Deckel keine Turteltauber

und wenn der Brautschuh mir nicht gefällt

dann gebe ich schleunigst Fersengeld

Flirte inkognito und noch lange nicht in Weiß

Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Aschenputtel heiß

 

The search must go on!

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann daten sie noch heute!

 

Dann kam die nächste Herausforderung: Meine Performance auf Video aufzunehmen. Ich musste als Regisseurin, Kamerafrau und Stylistin in Personalunion in Aktion treten.

MITTWOCH, 22 April

Dazu habe ich am Vorabend der Einsende-Deadline mein Wohnzimmer in ein Filmset verwandelt, oder besser gesagt: händeringend nach einem geeigneten Hintergrund gesucht und mit verschiedenen Lichtquellen experimentiert. Schließlich habe ich mich für die bunten Holztüren meiner Kommode entschieden (vor die ich mich im Schneidersitz auf ein Kissen platzieren musste). Schwierig war es auch, für meine Spiegelreflexkamera (mit Videofunktion) mangels Stativ einen festen Standort in der richtigen Höhe zu finden – dazu musste mein Couchtisch herhalten. Nachdem ich drei Mal mein Outfit gewechselt hatte, saß ich also auf meinem Kissen (nachdem ich vorher auf den “Record”-Knopf gedrückt und eiligst vor die Kamera gehechtet bin) und habe meinen Text vom Smartphone abgelesen  (passt ja zu “Bildschirm Bildschirm in der Hand” in meinem Vortrag) – der mein Gesicht von unten in ein zartes Blaulicht tauchte. Dabei habe ich Blickkontakt mit der Linse gesucht und meinem stummen Beobachter möglichst animiert die Geschichte erzählt. Ich habe drei Durchgänge gemacht – beim Ersten brummte der Kühlschrank geltungssüchtig dazwischen – wobei ich beim Sprechen jedes Mal lebendiger wurde, so dass ich schließlich den dritten “Take” ausgewählt habe.

DONNERSTAG, 23. April

Am nächsten Tag erwartete mich eine wahre Daten-Odysee: Meine Kamera hat die Videos im MOV-Format aufgenommen, in sehr hoher Auflösung, d.h. es galt ein mega schweres Datenpaket von 2,55 GB  zu versenden. “We Transfer” und meine Dropbox traten in Streik – Datenvolumen zu hoch. Versuche, ein kostenloses Programm zum Konvertieren und Verkleinern zu finden, scheiterten. Schließlich gab mir die nette Ansprechpartnerin vom StudierendenWerk (die ich verzweifelt anmailte) den Tipp, es mit dem Schweizer Anbieter “we send it” zu versuchen. Ja, bis 5 GB möglich. Also Video hochladen und los… S E C H S Stunden später und unzählige ruppige Wiedererweckungen meines Laptops, der ständig in seinen Dornröschen-Sleepmodus verfiel, wenn ich ihn mal alleine ließ: “Das Video steht dem Empfänger zum Download zur Verfügung.” Seufz.

Aber der nächste Rückschlag nahte schon. Ich habe dann zum Test das Video selbst auf meinem eigenen (neu eingerichteten) YOUTUBE-Kanal hochgeladen (hat “nur” 3 Stunden gedauert). Das Ergenis: Das Video ist nicht lippensynchron: Je länger es läuft (8 min), desto mehr hängen Lippen und Mimik hinterher. Das kann man sich nicht anschauen! Wenn es beim Upload von den Leuten des StudierendenWERKS auch zu diesem Effekt kommt, dann kann ich mir meinen Slam an den Hut stecken.

Außerdem gibt es beim Abspielen einige Tonausfälle /Kratzer – auch wenn ich das Video von meinem PC abspiele, je nachdem mit welchem Player. UUUUUURRRRRRRGGGGGHHHHHH!!!! Die Technik hat sich gegen mich verschworen. Ich überlege ernsthaft, ein komplett neues Video aufzunehmen, vielleicht mit dem Handy und bei Tageslicht. Aber habe ich dazu die Energie?

OOOOOOHHHHHHMMMMMMMM.

FREITAG, 24. April

Ich finde nun doch ein Konvertierungssprogramm und starte ungezählte (okay, es waren 5) Durchläufe der Umwandlung in mp4, mit unterschiedlichem Erfolg (mal ist die Tonspur verhunzt, mal geht beim Schneiden der letzte Satz verloren). Endlich bekomme ich eine perfekte Version hin – sie wiegt nur noch schlanke 418 MB und alles läuft rund. Sogar das Hochladen auf youtube gelingt ohne Reibungsverluste. Dann nochmal über Wesendit senden (geht innerhalb von 30 Minuten durch). HAAAAALLLLEEEELUUUUUJJJAAAAAA!

Ich freue mich auf die Zeiten eines Live-Auftritts! 8 Minuten, statt 8 Stunden Technik-Qualen.

Woche 9: Aquarium – Von Geräuschfluten und einer kleinen Meerjungfrau

Warum hier:

Ich bin immer noch in Märchenstimmung und möchte heute in die Welt der „kleinen Meerjungfrau“ eintauchen – das Märchen von Hans Christian Andersen übt schon seit langem eine besondere Faszination auf mich aus. Die Wasserwelt – ein Ort voller Geheimnisse und ein Element, das nicht für uns Menschen geschaffen ist und gerade deshalb entdeckt werden möchte – die Tiefe, Stille und Dunkelheit des Ozeans mit seinen Bewohnern aller Farben und Formen. Ich möchte den Fischen bei ihrem Wasserballett zusehen, ihre Anmut und Langsamkeit genießen. Wie ist es wohl, wenn man unter Wasser nichts hört, oder können Fische hören? Auf jeden Fall sind andere Sinne im Spiel.

Genauso, wie sich die kleine Meerjungfrau nach der Sonne und der Welt der Menschen sehnt, zieht mich die Wasserwelt an. Also gehe ich heute in das Aquarium des Zoologischen Gartens und hoffe auf einen Eindruck von der geheimnisvollen Welt.

Zur Einstimmung:

„Weit draußen im Meere ist das Wasser so blau wie die Blütenblätter der schönsten Kornblume, und so klar wie das reinste Glas, aber es ist dort sehr tief, tiefer als irgendein Ankertau reicht, viele Kirchtürme müßten aufeinandergestellt werden, um vom Grunde bis über das Wasser zu reicher. Dort unten wohnt das Meervolk. (…) Das war eine Pracht, wie man sie auf der Erde nie sehen konnte. (…) Man konnte all die unzähligen Fische sehen, große und kleine, die gegen die Glasmauern schwammen. Bei einigen schimmerten die Schuppen purpurrot, bei anderen wie Silber und Gold. Mitten im Saale floß ein breiter Strom, und auf diesem tanzten die Meermänner und Meerweiblein zu ihrem eigenen herrlichen Gesang. So süßklingende Stimmen gibt es bei den Menschen auf der Erde nicht. Die kleine Seejungfer sang am schönsten von allen, und alle klatschten ihr zu, und einen Augenblick lang fühlte sie Freude im Herzen, denn sie wußte, daß sie die schönste Stimme von allen im Wasser und auf der Erde hatte! Aber bald dachte sie doch wieder an die Welt über sich; sie konnte den schönen Prinzen nicht vergessen und auch nicht ihren Kummer darüber, daß sie nicht, wie er, eine unsterbliche Seele besaß.“

Aus: Die kleine Meerjungfrau (dänisch: „Den lille Havfrue”) von Hans Christian Andersen, von 1837

Der Ort:

Ich komme am Bahnhof Zoologischer Garten an und mein Blick fällt gleich auf die langen Warteschlagen vor dem Zoo. Heute ist der 1. Mai und alle Welt scheint in Ausflugslaune zu sein. Ich gehe die Budapester Straße entlang und gleich neben dem Elefantentor finde ich den Eingang ins Aquarium. Das Gebäude beherbergt schon seit über 100 Jahren Fische und Reptilien. Die Reliefs und Mosaiken an der Fassade zeigen prähistorische Tiere – und bauen eine Brücke in fantastische Welten und wecken meine Vorfreude.

Im Kassenbereich tönt mir ein Stimmengewirr und Kreischen aus dem Foyer entgegen – ich muss sofort an ein Hallenbad denken – und wäre am liebsten umgekehrt. Aber drinnen werden sich die Leute schon verteilen, denke ich. Irgendwo finde ich bestimmt eine ruhige Ecke, wo ich mich zum Schreiben hinsetzen und den Fischen meditativ beim Schwimmen zuschauen kann.

Drinnen ist die Hölle los! Durch die dämmrigen Gänge schieben sich hektische Kinder mit ihren noch hektischeren Eltern, die gefliesten Wände und Glasflächen der Aquarien werfen den Schall zurück. Ich werde vom Menschenstrom von Becken zu Becker gedrängt. Ja, da sind viele bunte Fische, die auch ganz hektisch schwimmen.

Damit bloß niemals Stille einkehrt, sind überall Lautsprecher in der Decke, die Meeresrauschen von sich geben.

Hier und da stehen ein paar Bänke herum, aber mich hier hinzusetzen und zu schreiben – nein, sogar meine eigenen Gedanken werden von diesem Lärm übertönt.

In einem Dreieck laufen die Wege zusammen und ich sehe die größten Becken vor mir. Hier wird gerade ein Kindergeburtstag gefeiert, mit Pappgeschirr und Kuchen auf den Bänken. Ich tauche wieder in einen Nebengang.

Dort zieht mich ein Becken mit weiß-bläulichen Quallen an – oder sind es gar Aliens?

Die Wesen haben lichtdurchlässige Körper mit Fäden und Knospen, die sich wie Wellen bewegen, ständig ihre Form verändern und fast körperlos wirken.

Ich kann meine Augen gar nicht abwenden und könnte ihnen stundenlang zuschauen, wenn nicht neben mir ein Fotoapparat Rotlicht schießen würde. Dann brüllt mir ein Vater was ins Ohr, weil sein Kind nicht gehorcht. Irgendetwas in meinem rechten Auge beginnt zu zucken und ich ergreife die Flucht.

Ich beschließe, die unbeliebtesten Tiere suchen zu gehen – vielleicht ist dort ja weniger Trubel. In der 1. Etagen sind die Reptilien untergebracht. Aber auch hier sind die Gänge voller Menschen und Stimmen.

In einem Terrarium dreht eine riesige Schildkröte auf ihren Zehenspitzen ihre Runden, als wolle sie einen Weltrekord aufstellen.

Woanders sind im Sand Cowboyboots und ein Totenschädel drapiert, was die Schlange in diesem Westernszenario aber herzlich wenig interessiert. Eine grüne Echse balanciert auf der metallenen Fensterbank entlang, rutscht immer weg und tastet mit einem Fuß die Scheibe ab, als suche sie einen Ausweg aus ihrem Gefängnis.

Hier spielen die Lautsprecher eine andere Platte ab – irgendein Zirpen.

Ich hechte eine Treppe höher. Im 2. Stock gibt es Insekten. Das interessiert doch bestimmt niemanden. Weit gefehlt. Ich hätte nicht gedacht, dass Glaskästen mit Ameisen und Fliegen so viele Besucher anziehen können.

Ich werfe einen Blick aus dem Fenster – von hier aus kann ich Häuser, Himmel und die Gedächtniskirche sehen – und sehne mich nach draußen.

Also wieder die Treppe hinab. Zufällig stolpere ich in die Krokodil-Halle. In diesem Glashaus umfängt mich warme, feuchte Luft, ein Wasserfall plätschert und unter Palmenwedeln und einigen Heizlampen liegen völlig bewegungslos 3 Krokodile. Diese wunderbare Gelassenheit. Hier ist es auch stiller, aber die Besucher haben nur Platz auf einer kurzen Brücke, ich werde bald wieder von Nachkommenden hinaus gedrängt. Ein Krokodil müsste man sein!

Aber es zieht mich doch zu den Unterwasser-Welten zurück. Ich gehe noch einmal zu den Quallen und bewundere ihren wunderschönen Tanz.

Dann kehre ich zu dem farbenreichsten der Becken zurück: Hier schillern die Fische in buntem Überschwang und mein Blick folgt mal dem einen, mal dem anderen.

Die kleine Meerjungfrau kommt mir wieder in den Sinn. Sie musste ihre schöne Stimme der Hexe opfern, damit diese den Fischschwanz der Meerjungfrau in Beine verwandelt und sie so in die Menschenwelt gehen und dem Prinzen gegenübertreten kann.  Wie wäre es, wenn die Menschen auch ihre Stimmen am Einlass hergeben und die Wasserwelt mit stummem Staunen erleben würden?

Aber bevor ich ins traumhafte Wasserreich abtauchen kann, werde ich seitlich angestoßen – ich stehe jemandem beim Selfie im Weg. Inzwischen klingelt es auch in meinen Ohren und ich rette mich zum Ausgang.

Das, was ich hier gesucht habe, kann ich wohl nur in meiner Fantasie finden.

Das gewisse Extra:

Die Unterwasserwelt hat nicht nur Schriftsteller, sondern auch Filmemacher inspiriert. Hier ein kleines Kontrastprogramm (lasst euch überraschen):

Video 1

Video 2

Diese Musik voller Wehmut und Sehnsucht führt die Fantasie auf eine Reise in die Wasserwelt. Die Oper Rusalka von Antonín Dvořák (aus dem Jahr 1900) ist eine musikalische Umsetzung der Undine-Sage und des Märchens von Andersen.

Meine Sterne-Wertung für den Schreibort:

Produktivität („wordcount“)

☆☆☆☆☆

Inspiration

★★★☆☆

Schallwellen-Faktor

★★★★★

Woche 8: Die märchenhafte Grimm-Bibliothek – Von Kobolden und Yoga-Kühen

Warum hier:

Bücher, Bücher, Bücher – was könnte inspirierender sein? Ich mache mich auf eine Entdeckungsreise in das Grimm-Zentrum, die Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin. Schon oft bin ich an dem prägnanten Gebäude mit der S-Bahn vorbei gefahren, jetzt wird es Zeit, das Innere kennenzulernen.

Schon die Namensgeber führen mich in meine Kindheit zurück – in die Welt der Märchen und zum Ursprung des Geschichtenerzählens.

Jacob und Wilhelm Grimm haben nicht nur das deutschsprachige Volksmärchen aus der mündlichen Überlieferung in eine schriftliche Form gebracht, sie waren auch die Mitbegründer der Linguistik und Philologie in Deutschland und habe u.a. das Deutsche Wörterbuch erstellt – eine einmalige Sammlung des Wortschatzes mit Nachweisen zur Wortherkunft und -bedeutung.

Zur Einstimmung:

Es war einmal eine Prinzessin namens Rotbäckchen. Sie war wunderschön, aber auch hochmütig und selbstsüchtig. Als bösen Kobolde die Erde zum Stillstand brachten und es sieben Jahre lang keinen Wechsel mehr von Tag und Nacht und von Jahreszeiten gab, waren Erde und Menschen in großer Not. Da zog die Prinzessin aus, um die Welt zu retten…

Der Ort:

Im hellen Foyer des Grimm-Zentrums wuseln wissensdurstige Menschen geschäftig umher. Ich folge dem Strom hinunter zu den Schließfächern. Dort bringe ich meine Sachen unter und muss über den Automaten mit bunter Füllung schmunzeln, der statt Kaugummi Ohrstöpsel ausspuckt.

Auf 7 Etagen reihen sich Bücherregale in striktem Muster im langen Rechteck des Gebäudes aneinander.

Ich gehe auf die Suche nach dem Grimmschen Wörterbuch (den Standort habe ich in der Suchmaschine ermittelt). Auf dem Weg in die 5. Etage verirre ich mich ein wenig. Im siloartigen Betontreppenhaus ohne Fenster und mit einer Wandinschrift („Lost“) kommt bei mir gleich ein bisschen „Hänsel und Gretel“-Stimmung auf.

Hinter der schweren Metalltür des 5. Stockwerks liegt aber kein Lebkuchenhaus, sondern die Germanistikabteilung. Auch hier suche ich meinen Weg durch einen Wald von Regalen mit Ziffern und langen Nummern.

Schließlich werde ich fündig: Das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Grimm hat 31 Bände und nimmt mehr als 1 Regallänge ein. Ich nehme mir den Band A und Z vor und schaue mir einige Worte vom Anfang („Aas“ – hier begegnet mir bei den Literaturbeispielen wieder Mephisto) und einige vom Ende an („Zizibe“ – juchu, ich habe ein neues Wort gelernt).

Aber wo finde ich einen Grimmschen Märchenband? Ich versuche mein Glück in der 7. Etage in der „Kinderstube“ (der Bereich ist reserviert für Schwangere und Eltern mit Kind – im Moment ist hier niemand, also gehe ich hinein, obwohl ich diese Kriterien nicht erfülle).

Hier finde ich zuerst neben einem knallig orangen Bällebad nur zeitgenössische Kinderbücher, z.B. ein Buch „Bleib gesund mit den Yoga Kühen“.

Aber dann, in der hintersten Ecke, stoße ich auf 3 alte Bände aus dem Jahr 1953 mit brüchigen und vergilbten Seiten: „Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“. Ich schmökere in König Drosselbart und Frau Holle. Viele der Märchen kenne ich noch gar nicht, z.B. „Des Teufels rußiger Bruder“.

Nun ist der akademischen und nostalgischen Recherche Genüge getan und ich suche mir einen Platz zum Schreiben.

Das Herzstück der Bibliothek ist der lang gestreckte terrassenartige Arbeitssaal mit regelmäßiger Holztäfelungen und Fenstern. Hier sitzen unzählige Studierende vor ihren Notebooks und Büchern und lesen und schreiben – wie Arbeitsbienen in einen riesigen Bienenstock. Ich höre leises Rascheln und Tippen, manchmal prasselt ein Regenschauer auf das Glasdach, dann fallen wieder Sonnenstrahlen herein.

Hier sitze ich nun und lasse meine Gedanken in die Märchenwelt schweifen.

Was sind die wichtigsten Zutaten eines Märchens?

  • eine Hauptfigur, die eine charakterliche Reise macht – entweder ist sie schon „gut“ und wird in Versuchung geführt, oder sie hat noch schlechte Eigenschaften und muss zur Läuterung geführt werden
  • ein Gegenspieler (z.B. Stiefmutter), eine böse Kraft (z.B. Hexe), ein Fluch
  • Märchenzahlen wie 3, 7 und 12
  • Zauberkräfte, übernatürliche Ereignisse, Gegenstände mit magischen Eigenschaften
  • Menschen, die sich in Tiere verwandeln oder umgekehrt, sprechende Tiere
  • ein beschwerlicher Weg mit Prüfungen und Entbehrungen für die Hauptfigur
  • eine helfende Kraft (z.B. Königssohn küsst die Prinzessin wach) oder Besinnung auf die eigenen Tugenden
  • Belohnung für die Guten, Bestrafung für die Bösen, eine Moral der Geschichte
  • Märchen sind auch Spiegel der Gesellschaft und zeigen Missstände auf

Das gewisse Extra:

Schon auf meinem Hinweg fällt mir am Bahnsteig dieser Unhold auf – ich habe ihn mir gleich als Märchenbösewicht vorgemerkt.

Inspiriert von meinen Eindrücken aus der Grimm-Bibliothek und natürlich ihren Märchen habe ich aus den genannten Zutaten am Sonntag ein Märchen geschrieben.

Möchtet ihr wissen, wie es Prinzessin Rotbäckchen auf ihrer Reise ergeht?

Ich kann schon verraten, dass sie auf einen tanzenden Storch und eine Yoga-Kuh trifft und auch Aas, Bienen und Zizibe vorkommen. Auch hat sich heimlich eine Liebesgeschichte eingeschlichen, obwohl das gar nicht mein Plan war.

Ich hoffe, ihr findet Vergnügen an:

Prinzessin Rotbäckchen und der siebenjährige Tag

Meine Sterne-Wertung für den Schreibort:

Produktivität („wordcount“)

★★★★☆

Inspiration

★★★★★

Kindheit-trifft-Germanistik-Faktor

★★★★★