Die Bühne brennt – endlich wieder Oper

Nach monatelanger Darbenszeit ist es am Samstag endlich soweit: Ich gehe in die Oper!

Aber ganz so wie früher ist es noch nicht, denn es gilt, einige Vorkehrungen zu treffen. So wandere ich gegen Mittag in sengender Hitze  zum Tierpark und lass mir in einer miefigen Turnhalle in der Nase herumstochern und halte 20 Minuten später ein Stück Papier mit dem Zauberwort: “NEGATIV” in der Hand.

Am frühen Abend also ziehe ich einen Rock an, der bestens zu meiner Knallbonbon-Feierstimmung passt und mache mich auf den Weg. Die Staatsoper unter den Linden begrüßt mich sanft rosé. Beim Einlass jedoch überkommt mich das typische Flughafen-Unwohlgefühl bei der Kontrolle – ich weiß, ich habe alle Papiere und nichts zu verbergen, aber irgendwie fürchte ich trotzdem, ich würde der Kontrolle nicht standhalten. Der Scanner tut sich auch schwer mit meinem Ticket, aber nach fünf Versuchen und Hellerschalten meines Displays darf ich dann doch in die heiligen Hallen eintreten.

Nun sitze ich auf einem dicken Polster im lückenhaft (gemäß Vorschrift) besetzten Auditorium und die Vorfreude steigt.

Ich sehe “La Fanciulla del West” von Puccini (1910). Der Büffel auf der Bühne soll das Publikum offenbar schon auf den Wilden Westen einstimmen. Das Orchester spielt sich ein und ich entdecke schon Antonio Pappano am Pult – er ist einer meiner Lieblingsdirigenten, den ich schon öfters im Royal Opera House in London erlebt habe, wo er der musikalische Direktor ist.

Ich lasse meinen Blick über die Ränge gleiten und sehe mich gleich mit einer Gewissensfrage konfrontiert: Fast alle Besucher haben ihre Masken abgelegt, sobald sie auf ihrem Platz sitzen. In der E-Mail des Hauses mit Corona-Hinweisen stand doch, man müsse seine Maske auch während der Vorstellung tragen. Aber schließlich ist jeder hier im Saal negativ getestet, wir sitzen alle auf Abstand, die hochleistungsfähige Belüftung ist im Einsatz, die Inzidenzwerte ganz weit unten – in einem Akt bedächtiger Sorglosigkeit streife ich also auch meine Maske ab und hänge sie über den Ellbogen wie es inzwischen zur selbstverständlichen Mode geworden ist.

Das Saallicht geht aus und die bombastischen Klänge von Puccini erfüllen den Raum. Wie wunderbar diese Musik klingt, wie plastisch der Klang im Raum, ich kann  jede Instrumentengruppe einzeln hören – damit kann kein Livestream und keine Opern-DVD mithalten – auf die ich in den letzten Monaten so oft zurückgreifen musste.

Der kräftige Männerchor lässt das raue Leben der Goldgräber in Kalifornien  lebendig werden und schließlich erscheint unter bebendem Blechbläsereinsatz  das “goldene Mädchen” Minni auf dem Dach ihrer Schenke. Die Sopranistin Anja Kampe hat eine klangschöne und volle Stimme und verkörpert das herzliche Mädchen sympathisch und glaubhaft. Der Tenor Marcelo Álvares überzeugt mich leider nicht mit seiner “tenorigen” Darstellung: Seine schauspielerischen Mittel sind sehr begrenzt, er schreitet treuherzig umher und konzentriert sich auf seine Glanztöne, für die er immer in die Knie geht, um sie dann mit ganzem Körpereinsatz in die Höhe zu stemmen – ich sehe einen Tenor bei der Arbeit und keinen charmanten Ganoven Dick Johnson. Immerhin kommen dann im zweiten und dritten Akt die kurzen Arien, auf die ich die ganze Zeit warte (“Ch’ella mi creda” – hier in meiner Lieblingsinterpretation von Jonas Kaufmann).

Leider kann diese Oper musikalisch und von der Dramatik nicht mithalten mit den drei besten Opern von Puccini (La Bohème, Tosca, Madama Butterfly). Aber ich will nicht meckern, sondern freue mich an dem unvergleichlichen Live-Erlebnis.

Auf der Bühne wird im Finale alles abgefeuert, was das Theaterarsenal zu bieten hat: Gewehrsalven, Rauch und sogar zwei Männer in Flammen taumeln über die Bühne – wenn es jetzt noch eine Klopperei geben würde und jemand eine Flasche über den Schädel zerschlagen bekäme, wäre ich wirklich bei den Karl-May-Festspielen angekommen. Die vordergründige Inszenierung stammt übrigens von Lydia Steier.

Das Publikum applaudiert anhaltend voller Dankbarkeit. Ich gehe beschwingt von dem Musikgenuss über die Museumsinsel zur S-Bahn – hier sind Wiesen und Biergärten in dieser warmen Sommernacht voller Menschen, die einem Massenerlebnis anderer Art frönen. So wie diese Leute über ein Tor jubeln, so jubiliere ich, endlich wieder diese Magie im Opernhaus spüren zu dürfen.

Und wie das bei Süchtigen so ist, brauche ich natürlich sofort den nächsten Trip. Am Montag durchlaufe ich erneut das obligatorische Testprogramm und finde mich wieder in meinem zweiten Wohnzimmer ein.

Dieses Mal höre ich Kompositionen von Peter I. Tschaikowsky: Zuerst das KLAVIERKONZERT NR. 2  G-DUR OP. 44 – hier gefallen mir die Soli vom Cello am besten, das Piano ist nicht mein Lieblingsinstrument – und nach der Pause eine sehr lebhafte ORCHESTERSUITE NR. 3 G-DUR OP. 55. Antonio Pappano dirigiert wieder mit viele Esprit und Leidenschaft und ich lasse mich von der wunderbaren Musik in Phantasiewelten tragen.

Zum Abschied bekomme ich eine Goldmünze und einen Aufkleber von meinem Gastgeber überreicht.

Da fühle ich mich doch gleich eingeladen, am Samstag wiederzukommen – zum konzertanten “Freischütz” von Carl Maria von Weber. Ich nehme alles mit, was ich vor der Sommerpause kriegen kann.

Print Friendly, PDF & Email

4 Antworten auf „Die Bühne brennt – endlich wieder Oper“

  1. Hallo liebe Ulrike,
    Danke für deine schillernde Erzählung von deinen beiden Opernerlebnissen Unter den Linden – schön, dass sich diese besondere Magie der Musik und der Bühnenzauber für dich (und sicherlich auch für die vielen anderen ausgehungerten Opern-Enthusiasten) entfaltet haben! Ich wäre gerne dabei gewesen.
    Ja, Pappano ist ein toller Dirigent.
    Ja, der plastische Klang von live spielenden Instrumenten und Gesangsstimmen im Raum lässt sich nicht medial einfangen.
    Viele opernverträumte Grüße
    Dorit

  2. Liebe Ulrike,
    ich kann Deine Freude so gut verstehen! Endlich wieder klassische Musik live. Jonas Kaufmann oder Diana Damrau oder dergleichen Großkaliber auf den Bidlschirm sind toll, aber wie viel besser ist ein echter Tenor, selbst wenn ihn die Töne in die Knie zwingen. Mir ergeht es wie Dir, ich glaube durch die lange Live-Pause hört man noch differenzierter hin jetzt und erkennt viele Feinheiten in den orchestralen Linien. Es ist einfach ein Genuss. Vielen Dank, dass Du uns an Deinem Highlight teilhaben lässt.
    Liebe Grüße
    Anne

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert