Berlin Spandau: Innovation Hub der Firma FUTURA – 8. Mai 2030
I. Fiona und Kibe im Workshop von Dozent Steven Frankenfels – 11 Uhr
„Können wir endlich zum praktischen Teil kommen?“, dachte Kibe und unterdrückte ein Gähnen. Seit zwei Stunden saß er mit Fiona, Nele und neun weiteren Studierenden im Stuhlkreis im Innovation Hub der Firma FUTURA in Berlin-Spandau. Der Workshop des Professors für Lernpsychologie fand dort statt, weil die Studierenden an einem Kooperationsprojekt zwischen der Universität und der IT-Firma mitarbeiteten. In den letzten Tagen hatten die Studierenden im virtuellen Lernraum die 3D-Darstellung der neuen K.I.-LearnerPads mit Notizen versehen. Nun sollten sie Forschungsfragen entwickeln.
Kibe rollte auf seinem Drehstuhl näher an Fiona heran und flüsterte ihr zu:
„Immer wenn dieser Prof unsere Diskussion moderiert, dauert es so lange. Nach seiner Pädagogik ist es scheinbar streng verboten, klare Antworten auf unsere Fragen zu geben.“
„Ja, er ist nur dann zufrieden, wenn er alle Klarheiten beseitigt hat“, wisperte Fiona. „’Umgehen mit Unsicherheit‘ nennt er das.“
„Ich würde lieber was Brauchbares für meine spätere Arbeit lernen“, dachte Kibe.
Dann kam der Co-Dozent Steven Frankenfels in den Raum und zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er begrüßte die Studierenden mit einem strahlenden Lächeln. Fiona sah, wie er beiläufig die RoleXX an seinem Handgelenk berührte und wusste, dass er den Aufnahmemodus seiner smarten Uhr aktiviert hatte. Nach dem Seminar würde er eine genaue Auswertung seiner Performance erhalten. Anhand der Stimmaufnahme erstellte das Gerät ein Profil seiner Emotionen und eine Animation zeigte ihm, wann seine Stimme in der optimalen „Teaching Modulation“ – die durch ein Expertenteam an Psychologen und 1000 Testpersonen ermittelt worden war – gewesen war und wann nicht. Er benutzte seit einigen Monaten diese in seiner Firma entwickelte „Your Voice Your Choice“ Selfcoaching-App und hatte seine Stimmmodulation erfolgreich damit trainiert.
In seinem maßgeschneiderten Dreiteiler aus chinesischer Zuchtseide sah er aus, als sei er eben den Hochglanzseiten eines Manager Magazins entsprungen. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Artisten zwischen den Stühlen, bezog jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer ein, nichts schien ihm zu entgehen. Fiona hatte schon oft erlebt, wie ihr Vater sein Charisma zu seinem Erfolg einsetzte. Erst kürzlich hatte ihm seine Nominierung als „Visionary of the Year“ einen lukrativen Deal als Markenbotschafter für den neusten autonom fahrenden BMW eingebracht.
Frankenfels erklärte den Studierenden nun den Arbeitsauftrag und dann testeten sie die K.I.-LearnerPads. Dafür setzten alle ihre Mixed-Reality-Brillen auf, mit denen sie sehen konnten, wie die virtuellen Lernobjekte den physischen Raum überlagerten. Sie spielten ein interaktives Lernszenario durch und probierten dabei aus, wie die K.I. nicht nur auf die Spracheingaben, sondern auch auf die Gesichtsmimik der Lernenden reagierte und sie psychologisch auswertete.
Fiona fand es seltsam, ihren Vater als Dozenten zu haben. Sie hatte das Gefühl, sie würde von ihm besonders kritisch beobachtet. Aber sie war auch fasziniert davon, ihn in Aktion zu erleben. Er kam ihr vor wie ein Trapezkünstler in der Manege, der sein Publikum immer wieder zum Staunen brachte. Ihr fiel auf, wie schnell er zwischen den Welten wechselte. Im einen Moment zeigte er Kibe etwas in der Mixed Reality, im nächsten regelte er Geschäftliches. Dazu sprach er leise in seine intelligente Smartphone App „Director“ und gab so seinem Assistenten Lasse Anckarström Arbeitsaufträge. Für manche Eingaben musste er nur in einem bestimmten Rhythmus auf ein Sensorfeld tippen. Das funktionierte wie bei alten Morsezeichen, hatte Frankenfels seiner Tochter erklärt. Vom Morsen hatte Fiona noch nie gehört.
Fiona schmunzelte, als sie entdeckte, dass ihr Vater die neuen Sneakers der Marke „Nature Lover“ trug. Ihr zuliebe hatte er seine Lederschuhe gegen dieses klimaneutral und vegan hergestellte Produkt eingetauscht.
Plötzlich stand Steven Frankenfels neben seiner Tochter.
„Wieso hältst du dich bei der Teamarbeit immer im Hintergrund? Du solltest hier Erfahrungen als Team Leader sammeln“, sagte er und Fiona fühlte sich wie ein Schulmädchen aus der letzten Reihe.
„Papa, es ist doch giga unfair, wenn ich meinem Team die Lösungswege verrate, die du mir gestern erklärt hast. Damit mache ich ihnen das Learning by Testing kaputt.“
„Das sind deine Mitbewerber im Business, du musst jeden Vorteil nutzen“, sagte ihr Vater mit gesenkter Stimme, die seinen Unmut verriet. Die RoleXX an seinem Handgelenk blinkte rot auf – offensichtlich war Frankenfels von seiner stimmlichen Optimalmodulation abgewichen. Fiona verkniff sich eine trotzige Antwort, schließlich war ihr Vater auch ihr Dozent und da konnte sie sich nicht alles herausnehmen. Schon wendete sich ihr Vater mit einem eleganten Schwung ab und sprach wohl moduliert mit einem ihrer „Mitbewerber“.
„Soll er doch sagen, was er will! Ich gehe mit meinen Mitstudis so um, wie ich es richtig finde“, dachte Fiona und zwirbelte eine Haarlocke um ihren Zeigefinger. Diese kleine Marotte hatte ihr Vater ihr nicht abgewöhnen können.
Fiona dachte an den Workshop bei Professorin Lindenbaum, in dem sie erst gestern einige gute „Peergroup Learning“-Techniken ausprobiert hatte. Genau so wollte sie ihr Team beim Lernen anleiten. Auch wenn sie dann vielleicht nicht die Lorbeeren einheimste, die ihr Vater von ihr erwartete.
II. Kibe holt Rat bei Steven Frankenfels ein und erzählt von seinem Bildungsweg – 8. Mai 2030 – 14 Uhr
Nach dem Workshop ging Kibe zu seinem Dozenten Steven Frankenfels in die Sprechstunde, um ihn zu seinem geplanten Startup „Boost Kenya“ um Rat zu fragen.
Frankenfels war in den vergangenen Wochen bereits aufgefallen, dass der junge Kenianer viele gute Ideen in die Workshops einbrachte und sich zum Einsatz der Lerntechnologien im Alltag Gedanken machte. Er fragte Kibe nach dessen Berufserfahrung.
„Als ich mit 18 mit der High School fertig war, dachte ich nicht daran, an eine Uni zu gehen. Keiner in meiner Familie hat das gemacht“, erzählte Kibe. „Mein älterer Bruder arbeitet bis heute in Nairobi in einer Firma, die Soft Robots herstellt. Das gefällt ihm gut. Also habe ich dort eine Ausbildung als Mechanical Engineer gemacht. Zuerst war es echt was Neues, am Fließband Seite an Seite mit den Robotern zu arbeiten. Die waren aber nicht besonders gesprächig, sie konnten nur präzise Handgriffe“, sagte Kibe lächelnd. „Unsere gebauten Soft Robots waren natürlich viel schlauer. Und ich wollte dann immer mehr wissen, wie man so eine Künstliche Intelligenz herstellt.“
Frankenfels hörte interessiert zu. Kibe kam sich wie in einer Prüfung vor und strengte sich an, seine Qualitäten herauszustellen. Er erzählte, wie er nach vier Arbeitsjahren genug gespart hatte, um ein IT-Bachelorstudium an der Murang’a University of Technology aufzunehmen. Dort gab es aber zu wenige Dozenten, da die Ehrgeizigen abwanderten. Deshalb füllte Kibe diese Lücken, indem er sich mit YouTube-Tutorials und MOOCs weiterbildete. Was anfangs eine Notlösung war, zeigte sich bald als Türöffner für ihn.
„Dann habe ich am MIT einen „MicroMasters“ zu den Grundlagen von Künstlicher Intelligenz geschafft. Das war ganz schön anstrengend, aber damit konnte ich mich für das Stipendium hier in Berlin bewerben“, sagte Kibe.
„Und was ist Ihr Konzept für Ihre Startup Firma?“, fragte Frankenfels.
„Das Bildungssystem in Kenia hat Lücken. Dann ist es eine riesige Chance, wenn man an Online-Kursen an anderen Schulen und Unis teilnimmt. Das habe ich selbst erlebt“, erzählte Kibe enthusiastisch. „Und dafür muss der digitale Zugang geschaffen werden.“
Kibe erklärte, dass es in Nairobi eine Stiftung gab, die Tablets an Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten verlieh, die sich Bildung sonst nicht leisten könnten. Das Problem war, dass sie mit der digitalen Ausrüstung dann allein gelassen wurden. Kibe hatte vor, für diese Tablets einen künstlich intelligenten Tutor zu entwickeln, der die Lernenden in Kenia bei selbständigen Lernphasen inhaltlich unterstützte.
„Natürlich brauche ich auch Menschen vor Ort als Tutoren, die das Ganze begleiten. Für diese Tutoren könnten wir Weiterbildungsworkshops organisieren. Das lässt sich vielleicht über Spenden finanzieren, die wir mit einem „Harambee“-Event sammeln.“
„Das klingt nach einem tragfähigen Konzept. Als Kreativdirektor Ihres Startups müssen Sie nicht der Experte in allen Details sein“, sagte Frankenfels, „aber Sie müssen alle Fäden zusammenführen, Konzepte entwerfen und die Aufgaben an die passenden Experten geben. Sie begeistern Ihr Team am besten für Ihre Ideen, wenn Sie ihm Spielräume zum Ausprobieren geben.“
„Mir ist schon aufgefallen, wie gut die kreativen Teams bei FUTURA zusammenarbeiten. Ich könnte bei Ihnen viel für mein eigenes Startup lernen“, sagte Kibe. Er gab sich einen Ruck, schließlich war ihm beigebracht worden, dass man persönliche Connections für seine Karriere nutzen sollte.
„Ihre Tochter Fiona hat mir erzählt, dass es bei FUTURA einige Praktikumsplätze gibt. Ich würde mich gerne darauf bewerben“, sagte Kibe hastig.
„Das können Sie gerne tun“, sagte Frankenfels erfreut. „Aber auf unsere Stellen bei FUTURA bewerben sich so viele, dass unsere K.I. „Select the Best“ [SeB] eine Vorauswahl trifft und herausfiltert, wer Facetime für einen Pitch bei mir bekommt. Dabei wertet SeB für jeden Bewerber die gesamte bisherige Bildungs- und Beschäftigungsvita aus und erstellt so ein Qualifikationsprofil. Das wird dann mit dem Idealprofil verglichen, das wir für diese Stelle haben. Sie wissen sicherlich, dass es den Datenpool „Stories of Failure and Success“ gibt, in dem Algorithmen unzählige Berufsvitas auswerten und so beziffern können, welche Personen in welchen Job-Positionen erfolgreich sind und sein werden. Unsere SeB zieht sich aus diesem Pool die Idealprofile für unsere Stellen raus. So finden wir zuverlässig die Besten für jedes gewünschte Anforderungsprofil.“
Kibe schwieg eingeschüchtert. „Wie soll ich in so einem harten System je einen Job bekommen?“, dachte er. „Wie können diese Algorithmen wissen, wie viele Hürden ich genommen habe, um das zu erreichen, was Anderen in den Schoß gefallen ist?“
„Aber manchmal fallen mir helle Köpfe auf und ich lade sie direkt zum Pitch ein“, fügte Frankenfels mit freundlicher Stimme hinzu. „Bei Ihnen, Kibe, sehe ich Potenzial. Wenn Sie Interesse an einem Praktikum bei FUTURA haben, können Sie Ihr Bewerbungsportfolio an meinen Assistenten Lasse Anckarström mailen.“ Frankenfels zeigte Kibe seine digitale Visitenkarte und Kibe scannte die Kontaktdaten mit seinem Smartphone ab.
„Das mache ich sofort! Vielen Dank für diese Chance!“, sagte Kibe und konnte sein Glück kaum fassen. Kibe ging mit leuchtenden Augen aus dem Gespräch mit Frankenfels. Mit diesen neuen Gedanken und Möglichkeiten nahm sein Weg in die Zukunft Gestalt an.
III. Steven Frankenfels hat einen neuen Werbeauftrag für die Kunstfigur „Estello“ und entscheidet über Kibes Bewerbung als Praktikant – 18. Mai
Steven Frankenfels hatte im Innovation Hub seiner Firma FUTURA gerade die neuen K.I.-Features seiner RoleXX getestet. Nun ging er zu einem „Private Meeting Cube“, schloss die Tür und aktivierte den Privatsphäre-Modus, der die Glaswände in Milchglas verwandelte, und skypte mit Andy von der Social Media Marketing Agentur, die sich auf das Erschaffen von Influencer-Kunstfiguren spezialisiert hatte.
„Hallo Andy, Danke für den Report zu meinem vorigen Auftrag. Die Reihe mit Estello in Cannes ist wirklich gut gelaufen: 7.000 neue Abonnenten auf InstaREAL. Das Red Carpet Video hatte fast eine Millionen Viewer“, stellte Steven fest.
„Ja, bei den Kommentaren dazu gab es auch einen Rekord. Das Flirting Update bei unserer Estello-K.I. hat sich ausgezahlt“, sagte Andy. „Wenn Sie weitere Red Carpet Live Appearances buchen wollen, reserviere ich unser Model Marco für diese Termine.“
„Ja, ich buche drei Mal Red Carpet mit Marco für die nächsten sechs Wochen. Was sagen Ihre Datenkraken zum aktuellen Interessenprofil unserer Zielgruppe? Was eignet sich für die Daily Posts von Estello?“
„Die Typen ‚Fashion Fail‘ und ‚Backstage Peek‘ haben sich in den letzten zwei Wochen ausgereizt. Upcoming Favorites sind ‚Homestorys‘ und ‚Urban Gardening‘ mit Frühlingsblumen“, empfahl Andy.
„Gut, dann machen Sie in den nächsten Tagen eine mehrteilige Homestory, in der Estello mit intelligentem Support seiner RoleXX seinen Dachgarten bepflanzt. Die Details überlasse ich Ihnen. Ich schicke Ihnen gleich den Text zu den Features, die beworben werden sollen“, schloss Steven Frankenfels den Auftrag ab.
Schon stand der nächste Termin an. Pünktlich zu ihrem Meeting kam Lasse Anckarström, der persönliche Assistent von Frankenfels, in den Cube. Der junge Schwede hatte sich innerhalb von zwei Jahren bei FUTURA in diese Position hochgearbeitet. Frankenfels schätzte die Zielstrebigkeit, mit der Anckarström bereits als Student die passenden Qualifikationen für diesen Job erworben hatte. Unter dem langen blonden Haar, das Anckarström in einem trendigen Knoten trug, steckte ein präzise arbeitender Verstand.
Nun besprachen sie, welche FUTURA Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich auf welche anstehenden Projektaufgaben beworben hatten.
„Die eine Praktikumsstelle ist noch unbesetzt. Das hier sind die Bewerbungsportfolios der drei besten Kandidaten, die SeB ermittelt hat“, briefte Anckarström seinen Chef.
„Wie hat mein Student Kibe Ndung‘u abgeschnitten?“, fragte Frankenfels.
„Moment, ich schaue nach“, sagte Anckarström. „Beim Abgleich mit dem Idealprofil für diese Stellenausschreibung hat er nur 69 Prozent erzielt. Seine Zusatzpunkte für „Personal Recommendation“ haben ihn auf 89 Prozent hochgebracht, aber damit liegt er auf Platz 5 im Ranking.“
„Hm. Dann klappt es diesmal nicht. Bitte schicken Sie ihm die übliche Gap Analysis, damit er weiß, an welchen fehlenden Qualifikationen er bis zu seiner nächsten Bewerbung arbeiten muss“, entschied Frankenfels.
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Begriffserläuterungen: Digitales und Kenia
Bezugspunkte: Fachliteratur und Populärkultur
Die Autorinnen stellen sich vor
Titelbild: Foto von Gerd Altmann, frei nutzbar nach Pixabay License
Liebe Ulrike,
gerade in diesem Kapitel sind mir die Menschen, insbesondere Fionas Vater, manchmal sehr „perfekt künstlich“, fast schon erschreckend glatt im Sinne von, alles läuft einwandfrei und „sauber“ …
Also, die typischen Ecken und Kanten, die ich an Figuren so sehr mag, die vermisse ich ein wenig und frage mich, wo finden sich die in diesem Zeitalter wieder …
Und, ich bin jedes Mal total fasziniert über die neuen Ideen und Möglichkeiten, die er- und geschaffen werden,
danke für die regelmäßige Inspiration,
Sabine
Vielen Dank liebe Sabine für deine Lesetreue und dein Feedback! 🙂 Ich finde es spannend, dass du den Dozenten-Vater als so glatt und künstlich wahrnimmst und ihm deshalb ein wenig die Menschlichkeit fehle. Bin ganz bei dir, dass gerade die Ecken und Kanten einen Menschen interessant machen. Aber wenn man sich diese im Zuge seiner Selbstoptimierung alle abschleift, bleibt eben eine blanke Fassade zurück.
Liebe Ulrike, liebe Dorit
es beruhigt mich kolossal. dass es den guten alten Stuhlkreis noch gibt. Ansonsten betrete ich dank Euch eine mir völlig fremde Welt. Irgendwie tröstlich, dass auch in dieser Welt der Vater das Vatersein nicht lassen kann und kurz aus seinem Optimierungsmodus rausrutscht, während die Tochter versucht, sich wenigstens ein bisschen vom Vater abzusetzen.
Liebe Grüße
Anne
Vielen Dank liebe Anne für deine Lesetreue und dein Feedback! 🙂 Ja, ja in der Vater-Tochter-Beziehung menschelt es sehr – und dann kommen auch die (hoffentlich liebenswerten) Schwächen zum Vorschein.
Liebe Ulrike, Liebe Dorit,
wieder ein spannendes neues Kapitel. Ich kann mich den vorherigen Kommentaren zu Fionas Vater anschließen. Mir ist auch besonders aufgefallen wie er zwischen seinem Wunsch ein perfekt optimierter Dozent zu sein und seiner Rolle als Vater steht. Umso bemerkenswerter finde ich dabei, dass Fiona sich selbst treu bleibt und an ihrer Vorstellung von gutem Lehren und Lernen in Form eines Peer-Konzepts festhält.
Etwas negativ aufgestoßen ist mir das Konzept zur Auswahl der Praktikanten mithilfe von KI, von dem Kibe erfährt. Durch den Algorithmus werden als Kandidaten herausgefiltert, die dem Idealprofil nicht ausreichend entsprechen, was meiner Meinung nach zu Benachteiligung von Bewerbern wie Kibe führen kann. Andererseits ist es auch verständlich, dass bei einer sehr großen Anzahl von Bewerbern gefiltert werden muss. Besonders schade finde ich, dass sich Frankenfels trotz des sehr guten persönlichen Eindrucks von Kibe so sehr auf den Algorithmus verlässt.
Viele Grüße
Elisa
Vielen Dank liebe Elisa! Es freut mich, dass du Fionas „Sich-selbst-treu-bleiben“ als positiv wahrnimmst und die Entscheidung ihres Vaters (mehr dem Algorithmus, als sich selbst zu trauen) als Gegensatz dazu siehst. Schön, dass der Vater als ambivalente und schwankende Figur rüber kommt.
Hallo Ulrike und Dorit,
ich kann mich Sabines Eindruck anschließen, dass Steven Frankenfels sehr glattgeschliffen wirkt. Das wirkt fast schon unmenschlich.
Ich kann einerseits verstehen, dass Elisa es schade findet, dass sich Fionas Vater gegen Kibe entscheidet und der Selektion der K.I. folgt, aber sehe das auch ambivalent. Wir haben jetzt schon Sympathien zu Kibe aufgebaut haben, aber wissen nichts über die anderen Bewerber auf die Praktikumsstelle… Und ich denke gerade an dieser Stelle, dass dies eine gute Eigenschaft von Steven Frankenfels ist, dass er in diesem Fall seine eigenen Emotionen etwas nach hinten stellt und in die Richtigkeit des Systems vertraut, welches objektiv beurteilt. Seine (ursprünglichen) 69% zeigen uns ja eigentlich, dass sein Bewerberprofil nicht so gut auf die ausgeschriebene Stelle passt, mal abgesehen, von seinen anderen Stärken, guten Ideen und der unglaublich hohen Motivation. Ein Manko des Algorithmus jedoch ist, dass zwischenmenschliche Fähigkeiten, wie Empathievermögen, in den Bewerberprofilen komplett verloren gehen. Außerdem zeigt dieses Beispiel grandios, wie unsere Gesellschaft immer leistungsorientierter wird.
Ich finde es aber auch positiv, dass den Bewerbern, die die Stelle nicht bekommen, ein Gap Feedback zur Selbstverbesserung geschickt wird.
Ebenso wie Elisa finde ich es positiv, dass Fiona ihr eigenes Ding durchzieht. Solche Qualitäten sind teilweise wichtiger, als das zu tun, was andere von einem erwarten.
Wieder ein spannendes und anregendes Kapitel!
Liebe Grüße,
Sandra
Vielen Dank liebe Sandra! Ich finde, du hast gut hervorgebracht, welche Eigenschaften der K.I. für eine gelungene Auswahl aus den Bewerbungen fehlen, nämlich die zwischenmenschlichen Fähigkeiten wie Empathievermögen und auch solche Aspekte einzubeziehen, die nicht in den sterilen Daten stecken, nämlich die hohe Motivation und Einsatzbereitschaft von Kibe und seine Kreativität.
Liebe Ulrike, liebe Dorit (und alle anderen in der Runde : ) )
ein sehr interessantes Kapitel, das zugleich auch viele Fragen aufwirft. Das Thema des „Herausfilterns“ von Bewerbern mittels künstlicher Intelligenz wurde ja bereits in den anderen Kommentaren aufgegriffen und rege diskutiert, da habt ihr wirklich einen kontroversen wunden Punkt getroffen. Ich denke aber, dass es umso wichtiger ist dieses Thema zu diskutieren, da ja bereits heute viele (vor allem große Unternehmen) verstärkt auf KI in der Personalauswahl setzen. Das ist also schon heute Realität, und man kann sicher davon ausgehen, dass sich dieser Trend in Zukunft noch verstärken wird.
Kibe war in dieser Geschichte leider der Verlierer – ein bisschen schade finde ich es ja schon, dass er Steven Frankenfels offenbar erst von sich überzeugen konnte, die KI am Ende aber doch das letzte Wort hatte. Das wirft interessante Fragen auf; sollte am Ende die KI das Sagen haben, oder immer noch der Mensch? Ich persönlich hoffe ja, dass Zweiteres der Fall sein wird, aber das wird wahrscheinlich für Unternehmen nicht immer praktikabel sein – vor allem wenn sie es mit Massen von Bewerbern zu tun haben und ein gewisses maschinelles „Vorsortieren“ einfach unerlässlich ist. Trotzdem sollte meiner Meinung nach der Faktor Mensch immer den Überblick haben.
Auf der anderen Seite wird KI in Zukunft sicher nicht nur den Unternehmen beim Bewerbungsprozess helfen, auch Bewerber könnten davon profitieren. Man stelle sich KI vor, die Bewerbern optimal für sie passende Stellen vorschlägt, die Bewerbungsunterlagen aufbereitet und verbessert oder gezielte Vorschläge für die individuelle Weiterbildung macht. Auch hier kann man gespannt sein, was der Fortschritt bringt. In diesem Sinne könnte sich für Kibe ja doch noch alles zum Guten wenden, wenn er das Richtige für sich findet 🙂
Grüße,
Denise
Vielen Dank liebe Denise für diese interessanten Gedanken. Ich bin auch ein wenig hin- und hergerissen, wenn ich an die Auswahl von Bewerbern denke. Einserseites denke ich, dass der persönliche Eindruck, den ein Mensch auf den anderen macht, den entscheidenden Ausschlag geben sollte (insbesondere, da bei einer späteren Zusammenarbeit die „Chemie“ zwischen den Menschen stimmen sollte). Aber im Hinblick auf Diskriminierung (zum Beispiel nach Geschlecht und Hautfarbe) wäre eine Vorauswahl durch eine K.I., die nur die Qualifikationen berücksichtigt, doch wünschenswert, weil fair/gerecht.
Hallo ihr beiden,
es kann sein, dass ich hier was Missverstanden habe, aber am Ende hat Herr Frankenfels sich nicht für Kibe entschieden, da er trotz dem guten Gespräch nicht gut genug ankam.
Hier würde mich interessieren: Hatten die anderen Bewerber schon ihr Gespräch? Wenn nicht, stimme ich dir natürlich zu Denise, dass die Bindung von Kibe und Herrn Frankenfels Vorrang haben sollte.
Falls aber jeder das Gespräch schon hatte, fände ich es nur fair. Ich denke, dass ich mich aber gefreut hätte, wenn Herr Frankenfels eine persönliche Absage geschrieben hätte.
Wie denkt ihr dazu?
Liebe Grüße,
Michelle
Hallo Michelle,
beim Schreiben haben Ulrike und ich uns den Bewerbungsprozess so gedacht, dass es im ersten Schritt für keinen der Bewerber*innen auf die Praktikumsstelle bei FUTURA offizielle Vorstellungsgespräche gibt, sondern dass zunächst alle ihre Bewerbung schriftlich einreichen und die K.I. (mit einem Algorithmus, der speziell für FUTURA geschrieben wurde und der die Bewerberprofile mit dem idealen Profil für diese Praktikusstelle abgleicht) eine Vorauswahl trifft. Erst dann schaut sich der Chef Frankenfels diese Best-Auswahl der Bewerbungen an und laden zu einem Vorstellungsgespräch ein.
Kibe hat über den persönlichen Kontakt und seinen „Pitch“ im Seminar eine „Abkürzung“ genommen. Die „persönliche Empfehlung“ durch Frankenfels wurde von der K.I. mit verrechnet, das Ergebnis hat aber nicht gereicht.
In seiner Entscheidung verlässt sich Frankenfels mehr auf die K.I. als auf seinen persönlichen Eindruck.
Das ist natürlich diskussionswürdig.
In der Realität werden solche K.I. Auswahlsysteme für Stellenbewerbungen bereits heute in einigen größeren Firmen eingesetzt. Der Vorteil kann darin liegen, dass die K.I. objektiv ist, ohne menschlichen „Fehler“ durch Emotionen (Sympathie, Vorurteile etc.).
Aber es können auch diskriminierende Strukturen in den Algorithmus eingebaut sein, je nachdem, wie er bestimmte Eigenschaften der Bewerber*innen verarbeitet.
Dieses Überlegungen diskutieren Fiona und Kibe in Kapitel 7.
Viele Grüße
Dorit
Hallo Zusammen,
Ich finde die Idee, dass man sich als Lehrer aufzeichnen lassen kann und dann eine Bewertung bekommt interessant. Dabei kann ich mir vorstellen, dass einige davon profitieren würde. Allerdings finde ich es persönlich auch zu übertrieben. Das zeigt, dass man durch die Technik Perfektionismus anstreben kann, was mir persönlich aber nicht zusprechen würde.
Fehler passieren jedem. Deshalb denke ich auch, dass bei zu häufiger Benutzung von solchen Tools die Authentizität verloren geht.
Auch dass der Vater von Fiona gleichzeitig arbeitet und auch unterrichtet betrachte ich mit einer gewissen Skepsis. Ich fände es sehr störend, wenn mein Professor nicht ganz bei der Sache schien oder die ganze Zeit auf seiner Uhr herumtippt.
Für Kibe freue ich mich sehr, dass das mit dem Bewerbungsgespräch funktioniert hat. Das erinnert mich sehr an die Bewerbungen für mein Praktikum. In die hochangesehenen Firmen kam man nur sehr schwer überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch. Umso trauriger war ich, als er auf Grund der Analyse doch eine Absage erhalten hat.
Wie denkt ihr über die Punkte?
Liebe Grüße,
Michelle
Liebe Michelle,
grundsätzlich stimme ich dir da zu, was den übertriebenen Perfektionismus angeht. Da es sich hier aber um ein Tutorium handelt, bei dem eigenständiges Arbeiten gefragt ist, finde ich es auch in Ordnung, dass Frankenfels sich mal kurz um andere Angelegenheiten kümmert.
Hallo Michelle, hallo Denise,
ich gebe dir recht Michelle, das bestätigt nur meine Annahme, dass Frankenfels durch die Technologie eben doch abgestumpft ist und daher Kibe noch nicht mal eine persönliche Absage erteilt hat oder an diesen zumindest ein persönliches Anschreiben hätte verfassen können.
Aber Denise ich stimme auch dir zu, am Ende sollte im Bewerbungsprozess der Mensch entscheiden. Denn es könnte ja sein, dass jemand hervorragende Leistungen erbringen kann in der Uni, aber aufgrund von Charaktereigenschaften, doch ungeeignet für die vakante Stelle sein könnte. Beispielsweise introvertiert oder Teamunfähig, … dies kann gewiss nicht durch die KI geprüft werden.
Hallo Alle,
Wow, der Bewerbungsprozess, wie dieser beschrieben wird, ist durchaus abschreckend. Man wird selbst wie ein Roboter behandelt, nämlich ohne persönlichen Hintergrund und Lebensgeschichte. Nur Daten und Fakten zählen, die durch ein Programm ausgewertet werden. Reflektiert stellt sich die Frage, sind wir nicht heute bereits auf einem ähnlichen Weg, nur das statt einem Programm die Personaler sich dieser Aufgabe annimmt? Auch Frankenfels wirkt durch die Digitalisierung abgestumpft, denn obwohl er Kibe‘s persönliche Geschichte und Werdegang kennt und dieser unter den Top 5 unter den Bewerbern ist, ist dies für ihn immer noch kein Anlass den Platz für die Stelle zu ermöglichen. Wobei zusätzlich zu beachten gilt, dass er insbesondere aufgrund seines Hintergrunds nicht dieselben Voraussetzungen hat, wie beispielsweise Fiona. Schließlich hat er den Absprung aus Afrika geschafft und hatte dadurch ganz andere Voraussetzungen, dass wird überhaupt nicht bei der Auswertung berücksichtigt. Außerdem konnte Frankenfels bereits feststellen, dass Kibe aufgrund seines strebsamen Charakters für die Stelle durchaus in Betracht hätte ziehen können.
Kibe bedauert den nicht feststellbaren Nutzen der Studienübung, mit der er gerade schon seit Stunden beschäftigt ist. Ich kann es ihm sehr gut nachempfinden – sicherlich wird es auch in Zukunft diese Lerninhalte geben, deren Relevanz sich nicht sofort erschließt 😉
Als Fionas Vater als Dozent ins Spiel kommt, ist in jeder Hinsicht High-End angesagt: Makelloses Outfit, Selbstoptimierung mit der Auswertungs-Watch am Handgelenk, perfekter Auftritt. Frankenfels verkörpert den perfekten Bildungs-Nerd auf der absoluten Höhe seiner Zeit. Hier wird auch noch einmal klar, dass Frankenfels seine Tochter als sein Rennpferd in der Bildungsmanege sieht, wo es bitte siegen möge mit ihm als begnadetem Jockey. Fiona wechselt zwischen Stolz, Trotz und Scham und zeigt damit auch in einer total abgehobenen Zeit noch altbekannte menschliche Regungen 😉
Kibe hat Interesse an einem Startup bei Frankenfels, für das er bei ihm vorspricht. Es ist verständlich, dass Kibe, der sich seinen Platz an der Ada Lovelace Uni im Gegensatz z.B. zu Fiona erst zäh und ausdauernd aus einem bildungsfernen Umfeld erkämpfen musste, sich bei dem beeindruckenden Dozenten bewähren möchte. Kibe hat auf seinem weiten Weg nach Berlin in vielen Rennen unzählige Mitstreiter hinter sich gelassen und kann eine beeindruckende Vita vorweisen. Für das Startup bei Frankenfels muss er allerdings einen durch K.I. sondierten Bewerbungsprozess durchlaufen. Frankenfels lässt durchblicken, dass er Kibe in Hinblick auf seine außergewöhnlichen Leistungen besonders protegiert – das wäre ihm sehr zu wünschen und man freut sich, dass es doch etwas menschelt, aber weit gefehlt: Kapitel 6 endet mit einigen überraschenden Enttäuschungen – der von Nele vergötterte Estello ist nur ein Konstrukt aus K.I. für Werbezwecke und Kibe erreicht bei Frankenfels nicht die erforderliche Punktzahl. Für Frankenfels kein Grund, zu intervenieren, denn die „Gap-Analysis“ stellt dar, woran es mangelt. Kibes Hoffungen sind zerstört – ich empfinde das als schmerzlichen Hammerschlag. Im persönlichen Gespräch wurde Kibe Hoffnung vorgegaukelt, die man von der K.I. ohne Nachfrage einfach vernichten lässt. Das ist niederschmetternd! Die „persönliche Chemie“ spielt dann bei der fachoptimierten Bewerbungsauswahl wohl auch keine Rolle mehr, was zwar objektiv gerechter sein mag, aber die Frage aufwirft, ob die so Ausgewählten dann gut zusammenarbeiten und ob K.I. wirklich alle Parameter erfassen kann, die der „gesunde Menschenverstand“ oft intuitiv mitabtastet. Kibes Niederlage hat mich wirklich tief getroffen!
Vielen Dank liebe Evelyne für deine interessanten Gedanken! Deinen Vergleich mit Fiona als „Rennpferd in der Bildungsmanege“ finde ich sprachlich und inhaltlich super. 🙂 Es freut mich auch, dass der emotionale Inhalt (Absage für Kibe und seine damit verbundenen Enttäuschung) bei dir ins Herz trifft – was mir auch zeigt, dass Menschen (im Gegensatz zur K.I.) stark von Gefühlen gesteuert sind. Umso fragwürdiger, wenn bei Bewerbungsauswahlverfahren der Algorithmus mehr Gewicht hat, als persönliche „Chemie“ – was nach meinen Erfahrungen mit Kollegen für eine gute Zusammenarbeit mindestens genauso wichtig ist, wie fachliche Kompetenz.