Ich hoffe, ihr seid alle gut und gesund ins Jahr 2021 gerutscht. Zumindest an Wünschen und Hoffnungen wird es im neuen Jahr nicht mangeln. Habe mich an eine lyrische Rückschau und Vorschau gewagt:
Liebe Osterfreundinnen und -freunde! Weil die Ostereiersuche in diesem Jahr wegen – ihr wisst schon – nur eingeschränkt stattfinden kann, dürft ihr euch umso freudiger auf Wörtersuche machen. Die Aufgabe lautet: Schreibe ein Elfchen rund um das Osterei mit contrainte, also mit einer selbst auferlegten sprachlichen Beschränkung: Ihr dürft nur Wörter mit den Vokalen “o”, “e” und “i”verwenden, d.h. “a” und “u” sind TABU.
Ich freue mich auf zahlreiche Beiträge von euch! Die Blogparade läuft bis Ostermontag. Wer keinen eigenen Blog hat, der kann seine Kreationen gerne hier als Kommentar posten.
Mein Schreibgefährte Urs hat zu einer Blogparade mit dem Thema: „eindeutig-uneindeutig: Ambivalenz schreiben“ eingeladen: “Aus aktuellem Anlass empfinden wir wohl alle gerade höchst ambivalente Gefühle und unsere Haltung ist wahrscheinlich ziemlich eindeutig-uneindeutig. Ich starte deshalb eine Blogparade mit unterem Beitrag. (…) Bitte erkundet die Ambivalenz fiktional. (…) Eurer Widersprüchlichkeit seien keine Grenzen gesetzt!”
Hier ist meine Interpretation des Themas:
Ambivalenter Abstand
Ich soll Abstand achten
zu meinen Artgenossen
das Areal in Abschnitte schneiden
in angespannter Atmosphäre meinen Atem anhalten
in der Kassenschlange artig aufpassen
zu nah! – Alarm aus aufgerissenen Augen
besser ausweichen auf achtfache Armeslänge
Achtung: Ansteckungsgefahr*
Ich soll Abstand aushalten
zu meiner atemlosen Angst
pausenlos Analysen anschauen
Anschauungen analysieren
alles auf die schwere Schulter nehmen
kein Attest für Andersdenkende
Arrest für Auslauffreudige
Achtung: Ausdeutungsgefahr*
Ich soll Abstand ausloten
zu Aktienkursen im Abflug
die alarmierte Anleger hyperventilieren lassen
zu aufmüpfigen Anarchisten
die Ampeln ausblenden und in Ansammlungen saufen
zu aufgeschreckten Arbeitgebern
die Augen wischend Ausverkauf ausloben
Achtung: Abschreckungsgefahr*
Ich soll Abstand aufweichen
ausbrechen aus meiner Ausgeschlossenheit
mich ausgiebig austauschen
auf alternative Angebote aufspringen
von Fenstern und Balkonen Allianz ausrufen
mich abstrakt anschmiegen
an Auserwählte und Anonyme
Achtung: Auswederodergefahr*
Ich soll Abstand annullieren
mich meinen Angehörigen annähern
ein Albtraum für manche Angetraute und Angegraute
den Ausnahmezustand im Apartment aussitzen
mich paarweise oder alleine im Außen austoben
aus meiner Achtlosigkeit aussteigen
dem Amselgesang aufmerksam lauschen
Achtung: Ausschweifungsgefahr*
Ich soll Abstand abmessen
mit Augenmaß den Mittelweg anpeilen
navigieren zwischen Panik und Vernunft
allzeit aufrichtig Anstand zeigen
Anteil nehmen und dabei Abstand geben
Optimismus aufschwingen lassen
und meine Solidarität aufrüsten
Achtung: Außerstandesgefahr*
* angelegentliche Anmerkung der Autorin: Antrag auf Abschaffung des Attributs „-gefahr“ allseits allgemeingültig angenommen, ausgenommen in außerordentlichen Ausnahmesituationen
Selbst fotografiert am Bahnhof Frankfurt am Main – in Zeiten vor CoronaDie Grenzen sind klar gezogen…
Meine Schreibgefährtin Mo hat zur Blogparade eingeladen – mit dieser inspirierenden Collage:
Aus diesem fabelhaften Wörterfundus ist mein folgendes Gedicht entstanden.
Corona-Blues
Alle reden über C – ununterbrochen
der Kosmos hat C ins Rollen gebracht
C dreht auf – explodiert – ziemlich lunar
findet den Menschen und den einsamen Wolf
Alle reden über C – ununterbrochen
ein Schimmer von wunderbarem Chaos
je nach Lichteinfall
Poet, knips das Licht an!
Alle reden über C – ununterbrochen
sammelt euch nicht – nein, gib mir fünf
lauter schräge Gestalten
Erwischt!
Alle reden über C – ununterbrochen
Traumtänzerin, Genie & Sinnsucher
sind empfindlich gestrandet
niemand wärmt unsere Seelen
Alle reden über C – ununterbrochen
Musik im Kopf – mach lauter!
letzter Aufruf an alle Kosmoskinder
Sprich mit mir!
Zum Abschluss noch ein Elfchen:
Vereinzelung
ist sicher
in meinem Innenraum
blicke hinein und hinaus
Seelenschau
Update 6. Dezember 2020:
Meinen Corona-Blues hatte ich beim XXIII. Gedichtwettbewerbs der BIBLIOTHEK DEUTSCHSPRACHIGER GEDICHTE eingesendet – und oh Wunder – unter mehr als 1000 Einsendungen ist mein Gedicht unter die TOP 100 gekommen, ich habe einen Sachpreis erhalten (einen schönen Lyrik-Band) und das Schönste:
Mein Corona-Blues ist in der Anthologie der Preisträger erschienen – inklusive CD, auf der alle Gedichte von Schauspielern interpretiert worden sind – von Katja Amberger und Mark Kuhn.
Hier also mein Gedicht – wunderbar interpretiert (wie ich es selbst nie könnte) zum Anhören:
Nieder mit der Diktatur der Uhren! Alle Macht den solarischen Sekunden!
Wir, die Gruppe 366, sind eine Vereinigung von Sonnenanbetern und Tropentrojanern. Wir haben uns der Rückkehr zur natürlichen Zeitmessung und der Abschaffung der diktatorischen Zeitverfälschung verschrieben.
Die Zeit ist in ihrer Ausführung und Richtung vom Kalender und den Uhren abhängig, in deren Korsett sie lebt, ein Korsett erdacht von den Menschen und Sklaven ihrer Epoche. Die höchste Zeit wird diejenige sein, die in ihren Bewusstseinsinhalten die tausendfachen Probleme der Zeit präsentiert, der man anmerkt, dass sie sich von den Explosionen der letzten Woche werfen ließ, die ihre Glieder immer wieder unter dem Stoß des letzten Tages zusammensucht.
Hat der Kalender unsere Erwartungen auf eine solche Zeit erfüllt, die eine Ballotage unserer vitalsten Angelegenheiten ist?
Nein! Nein! Nein!
Haben die Uhren unsere Erwartungen auf eine Zeit erfüllt, die uns die Essenz des Lebens ins Fleisch brennt?
Nein! Nein! Nein!
Wir, die Gruppe 366, haben uns zusammen getan, um eine Zeit durchzusetzen, von der wir die Verwirklichung unserer Ideale erwarten.
Wir fordern ab sofort:
5. Das annus intercalarius bzw. annus bissextus (im Volksmund Schaltjahr genannt) wird abgeschafft.
1. Alle Chronometer (im Volksmund: Uhren) werden abgeschafft. Das gleiche gilt für jede Art von Chronologie.
7. Die Länge der Tage wird ausschließlich vom Sonnenkalender bemessen, auch tropischer Kalender genannt.
3. Jeder Mensch, jedes Tier und jede Pflanze hat das Recht, die volle Länge des tropischen Jahres auszuleben, nämlich 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 45,261 Sekunden. Das entspricht einer zusätzlichen täglichen Bonuszeit von durchschnittlich 57,329 Sekunden. Diese Sekunden sollen aber nicht gezählt, sondern genossen werden. Sie heißen fortan: solarische Sekunden.
2. Zur Zeitmessung werden ekliptische Frühlingspunkte bezogen auf die Sonne in gleichmäßiger Präzession und Nutuation angesetzt. Hierfür wird ab sofort das Tulpen-Chronometer eingeführt. Solange die Tulpe ihren Kopf nicht neigt, ist der Tag noch nicht zu Ende.
4. In einer Welt ohne Uhren gibt es auch keine Verspätungen mehr. Folgerichtig fordern wir die Ersetzung des Wortes “Verspätung” in allen Sprachen dieser Welt durch das Wort: „Solarequivalenz“.
6. Jeder, der versucht, die Lebensausdehnung über das diktatorische Tagesmaß von 24 Stunden hinaus einzuschränken, wird auf unbestimmte Zeit ins Solarium verbannt, inklusive Sonnenbrand.
Wir, die Gruppe 366, verpflichten uns gegenüber dem Universum, den Menschen, Tieren und Pflanzen, die Einhaltung dieser Forderungen niemals chronometrisch zu überwachen.
Lang lebe die Zeitlosigkeit!
gez. PRO SOLARIS 366
Die Sprecher der Gruppe 366 beim Verlesen des Manifests. Urs und Ulrike