Schon 7 Tage im NaNoWriMo mit meiner Dirigentin in Wien

Es ist eine dunkle und stürmische Nacht im November – und schon wieder sitze ich Nacht für Nacht vor dem blauen Licht meines Bildschirms bis die Glocken zwölf Mal schlagen – zur Geisterstunde werden meine Schreibgeister erst so richtig munter. Seit 7 Tagen stelle ich mich zum 4. Mal in Folge dem NaNoWriMo – der Challenge, jeden Tag mindestens 1.667 Wörter meines Romans zu schreiben, bis ich am 30. November die Ziellinie von 50.000 Wörter überschreibe – mit dieser Länge darf sich ein Text mit gutem Gewissen Roman nennen. Dass an diesem Rohentwurf noch einiges zu überarbeiten und zu schleifen sein wird, versteht sich. Aber das Textfundament ist damit gelegt.

Mein Romanprojekt in diesem Jahr heißt: „Die Dirigentin im Herrenrock“. Meine Protagonistin kommt am 1. November 1925 nach Wien und will sich an der Oper als Assistentin des Kapellmeisters bewerben – aber alleine der Umstand, dass sie eine Frau ist, verwehrt ihr jede Chance. Also verwandelt sie sich in einen Mann und siehe da – sie darf dirigieren. Aber kann und will sie diese Maskerade aufrecht erhalten?

Von meiner Recherche-Reise nach Wien Anfang Oktober habe ich euch schon erzählt. In der Zwischenzeit habe ich drei junge Dirigentinnen via Skype interviewed – die mir auf Anfrage der Dozent des Masterstudiengangs für Orchesterdirigieren an der Universität der Künste Berlin freundlicherweise vermittelt hat. Von diesen beeindruckenden jungen Frauen habe ich einiges über die individuellen und oft verschlungenen Wege einer Musikerin hin zur Dirigentin erfahren und welche Herausforderungen einer Frau in diesem Beruf begegnen und welche Eigenschaften sie mitbringen sollte, um zu reüssieren. Außerdem habe ich einige Dokumentationen angeschaut, z.B. über den Solti-Dirigentenwettbewerb 2015 in Frankfurt und über die großen Rivalen Furtwängler und Toscanini in den 1920er bis 40er Jahre. Zudem habe ich noch 2 hochinteressante Bücher über die Wiener Oper und Frauen in Salon und Kaffeehaus im Wien der 1920er Jahre entdeckt – die ich noch nicht ganz gelesen habe (hatte in den letzten Oktoberwochen eine faule Phase – aber Relaxen vor dem Schreib-Marathon ist wohl auch wichtig), aus denen ich noch viel Honig für meinen Roman saugen kann.

Als ich letzten Sonntagabend (1. November 2020) vor meinem Computer sitze, fühle ich mich trotz meiner Recherche ziemlich unvorbereitet, habe zwar eine Vision und eine Idee davon, was ich ausdrücken möchte, aber von einem Plot oder Storyboard bin ich weit entfernt. Ich weiß noch nicht einmal, wie meine Heldin Johanna (der Name ist mir zugeflogen, auch eine Homage an die junge Dirigentin Joana Mallwitz, die aktuell die Flagge der neuen Generation von Dirigentinnen hoch hält) mit Nachnamen heißen soll und wie ihre Vorgeschichte ist. Eigentlich gehört es zur Vorarbeit eines Romans, für jede Figur eine Biografie zu entwerfen. Aber ich bin keine große Planerin, sondern lasse mich beim Schreiben treiben und die Figuren und ihre Entwicklung unter meinen Händen während des Tippens entstehen. Mir gefällt diese Arbeitsweise, ich gehe auf Entdeckungsreise in meine Fantasie und überrasche mich selbst, anstatt einen vorgefertigten Plan abzuarbeiten.

Tatsächlich habe ich es Tag für Tag geschafft, meine Figuren zu formen und für ihren Weg in der Geschichte in Stellung zu bringen. In den ersten 3 Kapiteln – die ihr zum Abschluss auszugsweise als Leseprobe findet – bin ich also auf Spurensuche nach meiner Hauptfigur gegangen.

Auch einen wichtigen Gegenspieler habe ich gefunden: den (hist.) Dirgenten Robert Heger, dessen Assistentin Johanna wird. Er ist ein ziemlicher Kotzbrocken (später auch ein Nazi), der von der natürlichen Überlegenheit von Männern gegenüber Frauen überzeugt ist und Johanna bei ihrer ersten Bewerbung abblitzen lässt.

Was meinen Schreibprozess angeht, so bin ich (leider) die totale Aufschieberin – den ganzen Tag über mache ich einen weiten Bogen um meine Schreibdokumente – gehe spazieren, schaue meine Lieblings-Opern-Videos an und esse Lebkuchen dazu. Erst wenn es dunkel ist und es keine Ausreden mehr gibt, setze ich mich gegen 19 Uhr an meinen Schreibtisch und lege meine erste Schreib-Session ein. Meistens schaffe ich in 1 – 1 ½ Stunden ca. 900 Wörter. Dann mache ich eine Pause. Gegen 22 oder 23 Uhr raffe ich mich dann zur zweiten Runde auf und komme meist gut in Schwung, so dass ich die fehlenden 800 Wörter bis zur magischen Zwischenlinie schaffe – gegen 1 Uhr nachts mache ich dann aufgekratzt den Computer aus und gehe noch ein Stündchen in den nebelig-verlassenen Straßen meiner Wohnsiedlung spazieren und sage den Füchsen gute Nacht.

Meine Bilanz der ersten 7 Tage: 12.551 Wörter (57 Normseiten). Meine Statistik sieht also zurzeit gut aus – bin voll im Soll. Ich hoffe, das geht so weiter.

 

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9 Antworten auf „Schon 7 Tage im NaNoWriMo mit meiner Dirigentin in Wien“

  1. Hallo Ulrike,
    toll, wie du beim Schreiben deinen täglichen (oder eher: nächtlichen :-)) Rhythmus gefunden hast … und wie du die Ideen zum Fließen bringst. Die Textproben haben mir großes Lesevergnügen bereitet! Du schilderst alles sehr lebendig, leichtfüßig und mit Humor. Deine Protagonistin zeigt schon nach wenigen Sätzen Profil und Charme. Die Hauswirtin finde ich auch sehr gut (lebensprall) getroffen.
    An einigen Stellen klingt an, dass Johanna aus Alltagsgeräuschen Musik heraushört (die Hunde im Duett etc.) – das kannst du gerne ausbauen, gefällt mir als Leserin. 🙂 Insgesamt finde ich ihre originelle Weltwahrnehmung erfrischend. Die Sicht einer Norddeutschen (Berlinerin) auf das Wien in konservierter k.u.k Zeit – und sicherlich auch mit Strömungen der Moderne – verspricht Spannungsreiches.
    Ich freue mich auf weitere Leseproben.
    LG Dorit

    1. Vielen Dank liebe Dorit! Es freut mich sehr, dass du meine Figuren lebendig findsst. 🙂 Ja, ich lasse Johanna mit ihrem musikalischen Ohr die Welt auf ihre eigene Art und Weise wahrnehmen. Den Zeitgeist dieser Epoche einzufangen ist ein große Herausforderung, aber ich bemühe mich, sowohl die Nachklänge und Nostalgie zur Kaiserzeit, als auch den Aufbruch in die Moderne einzubringen. Mal sehen, ob mir das gelingt.

  2. Liebe Ulrike,
    wow, was für eine Lesprobe, die mich direkt in ein anderes Berlin katapultiert im wörtlichen Sinn, ich bin sofort da und höre DIE Welt vom ersten Satz an ganz anders und mit anderen Ohren …
    Ich bin fasziniert von der dichten Atmosphäre die du mot deinen Worten erschaffst und wieder einmal beeindruckt von deiner sprachlichen Qualität … Deine Hauptfigur mag ich, Henni mag übrigens ihre Herbstfarben sehr. ;’)
    Ich freue mich jetzt schon auf nächste Woche,
    Sabine

    1. Liebe Dank liebe Sabine! Meine farbenfrohe Dirigentin würde sich mit Henni bestimmt gut verstehen. Ich überlege schon, ob Henni als Stehplatzbesucherin (natürlich in rot-weiß gepunkteten Gummistiefeln) einen Gastauftritt bekommt. 🙂

  3. Liebe Ulrike,
    chapeau, das nimmt mich gefangen, besonders die Dachkammer gefällt auch mir gut! Da lohnen sich (deine:) Strapazen allemal. Ich darf bloß keine Vergleiche mit meinem NaNoWriMo-Geschreibsel aufstellen … Danke, dass du mich so erstklassig beim Prokrastinieren meines heutigen Schreibpensums unterhalten hast. Vielleicht sollte ich es doch wie du mit der Nachtschicht versuchen …
    Auf bald im Schreibovember, keep going, Amy!

    1. Vielen Dank liebe Amy! Die Nachtschichten kann ich empfehlen. 😉 Keine Sorge, ich denke auch oft, dass mein Text ein einziger Schmarrn sei. Bin mir sicher, dass dein NaNoWriMo-Text viel Tiefe hat. Wir halten uns gegenseitig die Stange im Schreibovember. 🙂

  4. Liebe Ulrike,
    danke, dass Du das Entstehen Deines neuen Romans mit uns teilst. Das finde ich sehr spannend. Ich kann nicht so auf Kommando schreiben, deshalb habe ich mich an NaNoWriMo auch nicht heran gewagt. Aber ich bewundere diese Fähigkeit sehr.
    Mit Deiner Protagonistin gibst Du mir eine neue Sichtweise auf die Musik. Wie Du weißt, mag ich die klassische Musik und gerade die Oper sei. Als Sängerin im Chor liebe ich es in der Musik zu versinken und eins zu sein mit den anderen Stimmen und auch den Instrumenten des Orchesters. Wenn es gut läuft gerate ich in manchen Konzerten wirklich in einen Flow und bin nur Musik. Da wachsen natürlich die Phantasien, wie es wäre, auf einer großen Bühne zu stehen als Darstellerin einer großen Opernrolle. In eine Dirigentin habe ich mich noch nie versucht hinein zu versetzen. Wie es sich wohl anfühlt, alle Musiker mit zwei Händen zu führen. An unserem Dirigenten sehe ich immer, wie anstrengend das ist. Es gab tatsächlich einmal ein Konzert, da hatte ich das Empfinden, ich hinge mit meiner Stimme an seinen Händen, wie eine Marionette an ihren Fäden. Das war ein geniales Gefühl von Einvernehmen, Harmonie und Sicherheit.
    Ich freue mich darauf, mit Johanna diese Perspektive näher erleben zu dürfen und bin sehr gespannt auf die Fortsetzung.
    Herzliche Grüße
    Anne

    1. Viele Dank liebe Anne! 🙂 Das hast du wunderbar poetisch beschrieben, wie deine Stimme mit den Händen des Dirigenten verbunden ist wie die Fäden mit dem Marionettenspieler. Das muss ein tolles Gefühl sein, wenn die Musik alle Mitwirkenden miteinander vereint. Ich werde versuchen, diese Magie in meinen Orchester-Szenen einzufangen.

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